© Frantzén

Björn Frantzén: Unbändiger Ehrgeiz

Björn Frantzén hat schwedische Gourmetgeschichte geschrieben: Niemand vor ihm hat dort drei Michelin-Sterne erkocht. Mittlerweile leitet er Restaurants in Skandinavien und Asien.

Björn Frantzén war elf Jahre alt, als er im Restaurant von Freunden der Familie ein Minutensteak mit knusprigen Pommes frites und hausgemachter Sauce béarnaise aß. »Das war ein Halleluja-Erlebnis. Auf der Stelle entschied ich, dass ich Koch werden wollte, um dieses Gericht kochen und jeden Tag essen zu können«, erzählte er einmal gegenüber dem schwedischen Radio.

Der heute 44-Jährige stammt aus dem Stockholmer Vorort Upplands-Väsby und absolvierte also eine Restaurantschule. Doch zunächst spielte er noch lieber Fußball und verfolgte den Traum von der Profi-Karriere. Dann die harte Landung: Ein angeborener Herzfehler machte die Sport-Karriere unmöglich. Also setzte Frantzén auf den kulinarischen Plan B und sammelte erste Erfahrungen im Restaurant »Edsbacka Krog« bei Stockholm, das damals zwei Michelin-Sterne hatte. »Ein perfekter Ersatz für Fußball«, erinnert er sich. »In der Küche eines Toplokals arbeitet eine Gruppe mit hohen Erwartungen und auf ein gemeinsames Ziel hin zusammen – und will gewinnen. Die Anspannung vor dem Aufsperren ähnelt der Stimmung in der Umkleidekabine vor einem Match.«

Frantzéns «Zén» in Singapur wurde 2021 zum zweitbesten Restaurant in ganz Asien gewählt.
©
Frantzéns «Zén» in Singapur wurde 2021 zum zweitbesten Restaurant in ganz Asien gewählt.

Harte Schule in London

Nach einem halben Jahr wollte er hinaus in die Welt. Seine Lehr- und Wanderjahre brachten ihn nach Großbritannien – zu Nico Ladenis ins »Chez Nico«, ins »Lettonie« und »Pied à Terre« – und nach Paris zu Alain Passards »L’Arpège«. Mitte der Neunziger steckte er Arbeitswochen mit 90 Stunden weg und fand am Herd eine Kultur der Angst und Bestrafung vor. »In den englischen Küchen waren Beleidigungen, Schläge, Tritte, ja sogar Messerhiebe und Verbrennungen mit der heißen Pfanne typische Methoden der Züchtigung«, so Frantzén, der selbst Narben an Händen und Unterarmen hat.

»Ich wollte mehr aushalten als alle anderen. Auf eine seltsame Weise fühlte ich mich wohl in dieser Welt, weil ich mir langsam den Respekt der Küchenchefs erarbeitete. Und ich war süchtig nach der Energie, die nur die Küchen der Sternerestaurants erfüllt.« Außerdem dienten die Vorgesetzten – die gütigen wie die gnadenlosen – als Vaterfiguren für den jungen Mann, dessen Eltern sich früh scheiden ließen: »Von meiner Mutter habe ich viel Liebe erfahren, aber dass seit jungen Jahren ein männliches Vorbild fehlte, das hat mich geprägt.« 

Bei einem weiteren Intermezzo im schwedischen »Edsbacka Krog« lernte Frantzén seinen späteren Geschäftspartner Daniel Lindeberg kennen. Zehn Jahre lang arbeiteten sie am Traum, gemeinsam Schwedens bestes Restaurant zu eröffnen. 

Entbehrungen und Rückschläge befeuerten Björn Frantzéns Willen, es an die Spitze zu schaffen, nur noch mehr. Heute ist er der höchstdekorierte Koch in Schweden.
Foto beigestellt
Entbehrungen und Rückschläge befeuerten Björn Frantzéns Willen, es an die Spitze zu schaffen, nur noch mehr. Heute ist er der höchstdekorierte Koch in Schweden.

Sterne und Gewitter

2008 eröffneten Frantzén (damals 31 Jahre alt) und Lindeberg das »Frantzén / Lindeberg« in Stockholms Altstadt. Nach einem Jahr ging der erste Stern auf, ein Jahr später der zweite. Doch irgendetwas lief schief. Die ehemals besten Freunde entwickelten sich auseinander, gerieten in Reibereien betreffend Arbeitszeit und Aufgabenverteilung. Eines Abends stellte Frantzén das Ultimatum: »Entweder du gehst oder ich gehe.« Seitdem herrscht Funkstille. Lindeberg hat sich inzwischen als Konditor im Stockholmer Vorort Saltsjö-Boo verwirklicht. Für Frantzén ging die Reise mit schwindelerregendem Tempo weiter.

Im Alleingang eröffnete er in Stockholm zwei neue Lokale: den mittlerweile weiterverkauften Gastropub »The Flying Elk« und das Bistro »Bobergs Matsal« im Nobelkaufhaus »NK«. Nur haarscharf rumpelte er dabei am Bankrott vorbei. »Ich habe kaum geschlafen und konnte mich zeitweise nicht an die Gesichter meiner beiden Töchter erinnern«, sagt er. »Meine Frau Sara kümmerte sich um alles, und ich merkte, wie ich mich in meinen eigenen Vater verwandelte: abwesend und an allem mehr interessiert als an der eigenen Familie.« 

Ganz in der Tradition heimeliger schwedischer Küche und doch hochmodern: Frantzéns Standbein im Art-Déco- Juwel »Bobergs Matsal«. 
Foto beigestellt
Ganz in der Tradition heimeliger schwedischer Küche und doch hochmodern: Frantzéns Standbein im Art-Déco- Juwel »Bobergs Matsal«. 

Kostbarer Traum

Dann der nächste Schicksalsschlag: Die jüngste Tochter der Frantzéns erhielt die Diagnose Diabetes Typ I. Alle paar Stunden muss ihr Blutzuckerspiegel kontrolliert werden; ein Fehler kann ihren Tod bedeuten. »Jeder normale Mensch würde in dieser Situation einen Gang runterschalten. Aber ich steigerte mich noch mehr in meinen Traum von Schwedens bestem Restaurant hinein«, blickt er zurück. Ende 2017 eröffnete das »Frantzén« mit 521 Quadratmetern und nur 23 Plätzen in Stockholms Innenstadt.

Schon ein halbes Jahr später ging der Traum in Erfüllung: drei Michelin-Sterne – zum allerersten Mal überhaupt in Schweden. Für Frantzén ist jedoch »die Arbeit nie getan – genauso, wie die Sehnsucht nach einem Vater nie abnimmt«. Er habe zwar sein »Ziel erreicht, aber der Preis war hoch: Nach 27 Jahren, die ich vorgebeugt in der Küche stehe, habe ich einen Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule und an der Hüfte ist ein Muskelansatz durch das viele Stehen chronisch entzündet.« Weil sich etwas ändern musste, trainiert er nun täglich und versprach seiner Frau, zu sämtlichen Schulferien freizunehmen. 

In Frantzéns »Zén« in Singapur gibt es auch Rares wie den einstmals für die Region traditionellen Kinmedai-Fisch. 
Foto beigestellt
In Frantzéns »Zén« in Singapur gibt es auch Rares wie den einstmals für die Region traditionellen Kinmedai-Fisch. 

Expansion nach Fernost

Das schwedische Wort »lagom« – etwa: »gerade richtig« – fasst die Lebensphilosophie der meisten Schweden zusammen – aber nicht die des Björn Frantzén. Er strebt nach dem Besten vom Besten. Während andere Köche regional und saisonal werden, lässt er Trüffeln aus Italien und Wachteln aus Frankreich einfliegen. Das Essen soll »verdammt lecker sein und im Maul knallen«. Der Geschmack zählt, sonst nichts. Mit diesem Anspruch expandiert das Gastroimperium »Frantzén Group« seit inzwischen fünf Jahren fleißig nach Asien: 2016 wurde »Frantzén’s Kitchen« in Hongkong eingeweiht, 2018 das heute mit drei Michelin-Sternen dekorierte »Zén« in Singapur. Noch heuer sollen drei weitere Lokale folgen. Und auch hier konstatiert Frantzén: »Das hat bisher kein anderer nordischer Gastronom gemacht.« 


Zu Gast bei Hjörn Frantzén

In Schweden 

  • FRANTZÉN *** 
    Klara Norra Kyrkogata 26, 111 22 Stockholm 
    T: +46 8 208580,
    restaurantfrantzen.com ​​​​​​​

    Schwedens Gourmettempel Nummer eins. Die Tische werden jeweils am Ersten des Monats um 10 Uhr vergeben. Innerhalb einer Minute sind die meisten Termine ausgebucht. Das Verkostungsmenü kostet umgerechnet etwa 380 Euro zzgl. Getränke. 
     
  • BOBERGS MATSAL 
    Nordiska Kompaniet (NK), 4. Etage 
    Hamngatan 18–20, 111 47 Stockholm 
    T: +46 8 7628161,
    bobergsmatsal.se​​​​​​​

    Im eleganten Speisesaal des Nobelkaufhauses NK aus dem Jahr 1915 kreiert Frantzén Mittagsgerichte nach schwedischer und französischer Tradition. Jede Woche ein neues »Menü Ferdinand« aus zwei Gängen, außerdem Vor-, Haupt- und Nachspeisen à la carte. 
     
  • BRASSERIE ASTORIA 
    Nybrogatan 15, 114 39 Stockholm 
    T: +46 8 208581,
    ​​​​​​​brasserieastoria.com ​​​​​​​

    Erst heuer hat das Bistro mit internationalem Flair in einem ehemaligen Art-déco-Kino aufgesperrt. Die Speisekarte ist eine bunte Mischung aus schwedischen, französischen und mediterranen Häppchen. 

In Asien 

  • ZÉN ** 
    41 Bukit Pasoh Rd, Singapore 089855 
    T: +65 6534 8880,
    restaurantzen.com 

    Im Jahr 2018 eröffnet, 2019 erhielt es zwei Sterne, heuer den dritten: Das Schwesterrestaurant des »Frantzén« bietet Gästen auf drei Etagen ein Erlebnis mit lokalen und weit gereisten Aromen. Verkostungsmenü um rund 300 Euro zzgl. Getränke. 
     
  • FRANTZÉN’S KITCHEN 
    11 Upper Station Street, Sheung Wan, Hongkong,
    T: +852 2559 8508
    frantzenskitchen.com

    Das nordische Restaurant serviert asiatisch Angehauchtes in entspannter Atmosphäre. Einige Plätze haben direkten Einblick in die Küche. 

Neueröffnungen 2021: 
Studio Frantzén in Shanghai und Singapur
studiofrantzen.com 
Villa Frantzén in Bangkok 
villafrantzen.com 

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2021

Zum Magazin

Lisa Arnold
Autor
Mehr zum Thema
Arkadi Novikov mit seiner Ehefrau Nadeschda
Restaurant-Millionäre
Arkadi Novikov: Der Küchen-Zar
Arkadi Novikov ist Russlands erfolgreichster Gastronom. In 30 Jahren hat er ein sagenhaftes...
Von Herbert Hacker