Bitter. Aber eben nicht nur bitter.

Hopfen galt lange Zeit als notwendige, aber problematische Bierzutat: Er sollte
die Biere haltbar machen, ohne den Trink­genuss zu mindern. Neue Hopfensorten
zeigen: ­Großzügige Hopfenbeigaben können den ­Trinkgenuss sogar erheblich steigern.

Hopfen ist und bleibt die Seele (fast) aller Biere. Aber: Warum nur so wenig ­davon? Warum sind die meisten Biere so mild gehopft? Haben nicht stark gehopfte Biere mehr Charakter, mehr Seele? Ja, haben sie. Aber das will nicht jeder. Denn viel Hopfen bedeutet auch: viel ­Geschmack – und zwar von der herben Sorte. Was tun? Die ­Antwort der meisten Großbrauereien besteht darin, weniger davon zu nehmen. Das ist technisch heutzutage kein ­Problem: Es gibt Biere, die mit weniger als zehn ppm (parts per million) des Hopfenbitterstoffs Alphasäure auskommen und dennoch irgendwie nach Bier schmecken – asiatische und ­amerikanische Massenbiere sind gängige Beispiele dafür. Weizenbiere kommen häufig mit 15 bis 20 Bittereinheiten – die den ppm Alphasäure entsprechen – aus, auch Pilsbiere haben oft nicht mehr als 25 Bittereinheiten.

Das Palor Ale wird mit der Hopfensorte Polaris gebraut. Es ist ein bernsteinfarbenes Ale / Foto: beigestelltDem Hopfenzusatz sind allerdings natürliche und ökonomische Grenzen gesetzt: Da ist zum einen der Preis – die weiblichen Blüten der Hopfenrebe sind teuer; zum anderen ist ihr Anbau aufwendig und ihre Verarbeitung erst recht. Und selbst wenn man Hopfen in großer Menge und zu einem guten Preis zur Verfügung hätte, müsste man sparsam damit umgehen.

Die Technologie hat enorme Fortschritte gemacht: Wenn man Biere unter extrem hygienischen Bedingungen braut und ebenso sauber wie sauerstofffrei abfüllt, kann man auf die konservieren­den Kräfte des Hopfens weitgehend verzichten. Und das tun vor allem internationale Großbrauereien bei ihren Massenbieren. Das Ergebnis sind Biere wie Miller Lite oder Nova Schin, die gegenüber den bei uns gängigen Bieren wie geschmacksarme, leicht alkoholische Erfrischungsgetränke wirken: fehlerfrei, aber eben auch ohne Charakter.

Auf der anderen Seite ist die Hopfenzüchtung nicht stehengeblieben: So hat man Hochalphasorten entwickelt, die auf weniger Fläche mehr von der ­bitteren Leitsubstanz Alphasäure liefern. Wer ohnehin nicht viel Hopfen in sein Bier geben will, kann mit dem Einsatz solcher Sorten den Bitterstoffgehalt in seinem Massenprodukt sehr gut steuern.

Aber: Die Alphasäure ist eben nur eine von mehr als 200 Geschmacks- und Aromakomponenten, die man in der Hopfenpflanze findet. Diese Substanzen sind zwar erst nach dem Zweiten Weltkrieg genauer erforscht und katalogisiert worden – allerdings hat sich altes Brauwissen bestätigt: In gewissen Regionen haben sich Sorten entwickelt, die eben typische Aromen an das Bier abgeben. Der tschechische Saazer hat einen gewürzhaften Charakter, ähnlich der Tettnanger; der Elsässer Strisselspalter duftet nach frischem Gras; der Steirer Hopfen hat ein leichtes Pinien­aroma. Wenn man solche Hopfen erst am Ende des Kochprozesses dem Sud zusetzt, zeigt sich erst, was im Hopfen steckt.

Trumer Hopfenselection / Foto: beigestelltUnd da geht noch mehr: Diese Hopfen dürfen ruhig großzügig dosiert werden, hier geht es ja nicht nur um die Bittere, sondern vor allem um deren wunderbare Begleitstoffe. In den vergangenen Jahren gab es vielversprechende Züchtungen neuer Hopfensorten, in denen die Alphasäure von ­einer Vielzahl an Aromakomponenten begleitet wird: Begonnen hat es mit der Sorte Cascade, ­einer amerikanischen Züchtung aus Fuggles und einer russischen Landsorte – die Markteinführung 1972 kam gerade recht, denn so konnte zu jener Zeit den erst experimentierenden Kleinstbrauern eine Hopfensorte bereitgestellt werden, mit der man sich vom Mainstream differenzieren konnte. Cascade mit seinem charakteristischen Grapefruitduft wurde zum Aromaträger der Craft-Beer-Szene und zum Kennzeichen moderner amerikanischer IPAs. Dann kamen in rascher Folge die Sorten Willamette (1976), Galena (1978), Mount Hood (1989) und Amarillo (2000).

Die als eher konservativ geltenden deutschen Hopfenzüchter waren aber ebenfalls nicht untätig: Schon 2002 wurde die Sorte Saphir ­zugelassen, die ein ähnliches ­Zitrusaroma hat wie der Cascade, aber auch Noten von Wacholder mitbringt. Mit Polaris, der ein wenig an Ananas, Melisse und Eisbonbon erinnert, und Mandarina Bavaria sind in den letzten Monaten neue Sorten ­etabliert worden, die durchaus schon in marktreifen Bieren angeboten werden, auch der einen Hauch von Sauvignon Blanc vermittelnde Hallertau Blanc und der Huell Melon ergänzen das Spektrum um fruchtige Sorten. Wenn jetzt bittere Zeiten kommen, kann das also durchaus spannend werden!

VERKOSTUNGSNOTIZEN

Motueka
Brauerei: Brew Dog, Fraserburgh
Braumeister: Matt Brophy
Alkohol: 6,7 % ABV
Bierstil: India Pale Ale

Brew Dog versucht, sich mit extremen Bieren als Punk der Bierszene zu positionieren – das Motueka ist seinerseits Teil eines Viererpacks von gleich gebrauten, aber deutlich unterscheidbaren India Pale Ales. Das nach der Sorte Motueka benannte orange-bernsteinfarbene »Single Hop Ale« duftet nach Harz, Litschis, Grapefruit und Melone, was den fruchtigen Charakter dieser in Neuseeland gezüchteten Sorte gut zur Geltung bringt. Auffallend ist, dass trotz des intensiven, beinahe parfümhaft wirkenden Hopfenaromas die Bittere wenig aufdringlich ist – es ist eben kein klassisches IPA, vielmehr steht »IPA is dead« auf dem Etikett.

Hopfenselection
Brauerei: Sigl, Obertrum
Braumeister: Axel Kiesbye
Alkohol: 5 % ABV
Bierstil: German Style Pilsne
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Der Name dieses Biers verweist auf den Spalter Select, eine klassische fränkische Hopfensorte. Grundbier für dieses stark gehopfte Experiment ist das bekannte Trumer Pils. Verwendet wird allerdings wesentlich mehr Hopfen (Goldings, Perle, Aurora sowie Spalter Select) in Doldenform, wobei der im Mühlviertel geerntete Spalter Select auch zum »Stopfen« (so nennt man die Zugabe von Hopfen in den Lagertank) verwendet wird, obwohl diese Sorte eigentlich selten zum Stopfen Anwendung findet. Das Ergebnis ist ein Pils, das zuallererst Assoziationen mit der Farbe Grün erweckt: Man denkt an Kräuter, Gras, aber auch an Mandarinen – und genießt den intensiven Duft, ohne dass die Bittere sich wesentlich stärker als in einem gängigen Pilsbier vordrängen würde.

Saphir
Brauerei: Privatbrauerei Karl Schwarz, Zwettl
Braumeister: Heinz Wasner
Alkohol: 5,3 % ABV
Bierstil: German Style Pilsner

Die Zwettler Brauerei war eine der ersten, die mit der damals neuen Hopfensorte Saphir experimentierte – und gleich ein Bier ihres Namens auf den Markt gebracht hat. Dieses Pils zeigt ein helles Goldgelb mit schönem, allerdings nicht übermäßig stabilem Schaum. Für dieses nach norddeutschem Geschmack herb und trocken eingebraute Bier hat Braumeister Heinz Wasner eine kräftige Bittere (38 Bittereinheiten, also 38 ppm Alphasäure im fertigen Bier) und sortentypisches Zitrusaroma komponiert – und Brauereibesitzer Karl Schwarz hat sie auf dem Falstaff-Bierfestival 2010 mit großem Stolz präsentiert und mit den Gästen diskutiert. Das kräftige, von Wiesenblumen und Zitrusnoten geprägte Aroma erinnert ein wenig an die bei nordamerikanischen Kleinbrauereien beliebte Sorte Cascade, ist aber zarter ausgeprägt und daher auch für weniger erfahrene Freunde des Hopfens geeignet.

Palor
Brauerei: Braufactum, Frankfurt a. M.
Braumeister: Marc Rauschmann
Alkohol: 5,2 % ABV
Bierstil: American Pale Ale

Braufactum ist der Craft-Beer-Zweig der Radeberger Gruppe und Marc Rauschmann der experimentierfreudige Braumeister, der sich getraut hat, die mit zehn Hektar Anbaufläche extrem rare Hopfensorte Polaris einzusetzen, bevor sie überhaupt offiziell zum Anbau zugelassen war. Gleichzeitig mit der offiziellen Zulassung kam das Palor Ale auf den Markt: ein bernsteinfarbenes Ale, das nach Ananas, Bergwiesen, Zitrus und Bergamotte duftet, nicht übermäßig vollmundig ist und vom Braumeister als Begleiter zu italienischen Gerichten empfohlen wird.

Mein Nelson Sauvin
Jahrgang 2012
Brauerei: Schneider Weisse, Kelheim
Braumeister: Hans-Peter Drexler 
Alkohol: 7,3 % ABV
Bierstil: Weizenbock

Georg Schneiders Brauerei war eine der ers­ten Weizenbierbrauereien, die mit prononciert gehopften Bieren experimentiert hat – zu einer Zeit, als der deutschsprachige Markt noch nicht reif dafür war, wurden diese vor allem mit Cascade gehopften Biere ausschließlich in die USA exportiert. Jetzt aber gibt es nicht nur jene »Mein Grünes« genannten Biere, sondern auch das nur einmal im Jahr etwas stärker gebraute »Mein Nelson Sauvin« für den europäischen Markt. Die verwendete Hopfensorte Nelson Sauvin wurde in den 1990er-Jahren in Nelson auf der Südinsel Neuseelands gezüchtet und bringt – ähnlich einem Sauvignon Blanc – die zarten Aromen von Weißweintrauben, Stachelbeeren und Pfirsichen ins Weißbier. Das von Braumeister Drexler gebraute Bier ist trotz des hohen Alkoholgehalts schlank und leicht im Trunk, relativ herb und mit fruchtiger Hopfenbittere im trocken wirkenden Nachtrunk.

Savinjski Ale
Brauerei: 1516 Brewing Company, Wien
Braumeister: Roland Tengler
Alkohol: 10,5 % ABV
Bierstil: Strong Ale

Savinjski ist eine alte slowenische Hopfenzüchtung auf Basis des Fuggles, die dem Bier eine leichte Johannisbeernote verleiht. In diesem tief dunkelbraunen Ale ist die Fruchtigkeit nur eine der Komponenten – dazu kommen kräftige Schokoladearomen vom Malz und eine kräftige Süße, die den wärmenden Eindruck des Alkohols noch unterstreicht. Tatsächlich wird das Savinjski Ale mit 19 Grad Stammwürze (also Doppelbock-Stärke) eingebraut und reift in Fässern nach, in denen zuerst Rotwein und anschließend Whisky gelagert wurden. Hopfenaroma und die Nachreifung im Barrique-Fass unterstreichen den weinartigen Charakter dieses obergärigen Biers. Der Nachtrunk ist dann deutlich weniger süß und lässt noch einmal Frucht- und Holz­noten nachklingen.

von Conrad Seidl
aus Falstaff Nr. 08/2012

Conrad Seidl
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