Erzabt Korbinian Birnbacher OSB: Der 51-jährige Benediktiner ist seit 2013 Erzabt von St. Peter.

Erzabt Korbinian Birnbacher OSB: Der 51-jährige Benediktiner ist seit 2013 Erzabt von St. Peter.
© Neumayr Leo | www.neumayr.cc

Betrachtung: Die laute Stille

Joseph Mohr wollte mit »Stille Nacht« mehr erzählen, als in sechs Strophen passt. Korbinian Birnbacher, Erzabt des Stifts St. Peter, erklärt theologische Hintergründe des Weihnachtsklassikers.

Weihnachten 2018 wird es genau 200 Jahre her sein, dass in der St.-Nikola-Kirche zu Oberndorf das Weltlied »Stille Nacht« erstmals erklang. Der Priester Joseph Mohr (1792–1848), der den Text bereits 1816 als Kooperator von Maria­pfarr verfasste, sang es erstmals in der Christmette 1818 zusammen mit dem Kirchenmusiker Franz Xaver Gruber (1787–1863), der die eingängige Melodie komponierte. Mohr begleitete den zweistimmigen Männergesang auf der Gitarre.
Das Gedicht, das Mohr von Mariapfarr mit nach Oberndorf brachte, hatte sechs Strophen. Mohr und Gruber hatten immer diese Textversion verwendet. Zum Welterfolg wurde dieses Lied aber erst in der heute bekannten Form mit drei Strophen und einer Umstellung in der Abfolge der Strophen, die die Zillertaler Sänger gemacht haben. Sie sangen das Lied erstmals 1831 auf der Leipziger Neujahrsmesse als »Tyroler Lied«.
Drei Strophen kann man sich merken, und sie erzählen die Weihnachtsgeschichte: Das Kind in der Krippe, die Hirten, Jesus Christus als der Retter. Mit der Hinwendung zur Weihnachtsgeschichte lag diese Liedfassung ganz im Trend der Zeit, in der alles zur Geschichte und als Geschichte wahrgenommen wurde. Man lebte in der Zeit des Historismus. Die Weihnachtsgeschichte gehörte zum festen Bestandteil der weit verbreiteten häuslichen Weihnachtsfeiern.
Joseph Mohr ging es aber um etwas ganz anderes: Er wollte nicht dieWeihnachtsgeschichte erzählen, sondern das tiefe Geheimnis der Menschwerdung betrachten, ausgehend vom allgemein geläufigen Bild der Krippe. Mohrs Lied ist eine Krippenbetrachtung. Betrachtung ist dabei nicht irgendein Hinschauen. Als Betrachtung bezeichnet man eine ganz bestimmte Gebetspraxis, die Mohr als Seminarist (1811–1815) in Salzburg kennengelernt und eingeübt hatte. Neben dem Brevier-Gebet und der Schriftlesung ist die Betrachtung Teil der täglichen geistlichen Praxis katholischer Priester und Ordensleute, wie es nach dem Konzil von Trient (1545–1563) üblich war.

© GettyImages

Mysterium des Glaubens

Solche Betrachtungen folgten unterschiedlichen Methoden, allen gemeinsam ist aber eine klare Grundstruktur. Ausgehend von einem bestimmten Glaubensgeheimnis, einer Bibelstelle, einem liturgischen Text oder auch einem Andachtsbild, versucht der Betrachtende den Kontext seines Betrachtungsgegenstands zu erfassen und einen Zusammenhang mit dem großen Mysterium des Glaubens herzustellen.
Dabei sollte das Augenmerk immer auch auf die praktischen Folgen des Betrachteten gerichtet sein. Die Betrachtung sollte der ­gelebten Glaubensnachfolge dienen. Zum Welterfolg wurde »Stille Nacht«, als die Zillertaler Sänger den Text von sechs auf drei Strophen verkürzten und somit die Weihnachtsgeschichte besangen. Trotzdem bleibt die Einladung, sich von Zeit zu Zeit durch die sechs Strophen des Originals von Joseph Mohr zu seiner Weihnachtsbetrachtung führen zu lassen.

Erschienen in
Falstaff Special »Stille Nacht«

Zum Magazin

Erzabt Korbinian Birnbacher OSB
Autor
Mehr entdecken
Mehr zum Thema
Rezept
Pineapple Tarts
Sieht fast wie klassische Weihnachtsbäckerei aus, schmeckt aber umwerfend gut nach Urlaub in den...
Von Ethel Hoon, Jakob Zeller