Belgiens Bier-Paradies: Legendäre Vielfalt

Belgiens Brauer zeigen ihre Brauereien und ihre Virtuosität gerne her – und feiern damit internationale Erfolge.

Man möchte am liebsten gar nicht mehr weg. Muss man auch nicht, die Brauerei Het Anker im flandrischen Mechelen, eine halbe Autostunde von Antwerpen entfernt, hat vorgesorgt: In den altehrwürdigen Gemäuern hat man vor ein paar Jahren Platz für einige Hotelzimmer des Hotel Carolus geschaffen – wer den acht verschiedenen Varianten des nach dem deutschen Kaiser Karl V. (1500–1558) benannten Hausbieres Gouden Carolus in dem rustikalen Brauereiausschank kräftig zugesprochen hat, braucht also keinen weiten Heimweg auf sich zu nehmen. Das ist einerseits gut: Im brauereieigenen Lokal gibt es die typisch flandrische Küche und nicht weniger als 14 Biere aus der Brauerei (darunter auch ein Anker Pils und das Lucifer) sowie ein deftiges Frühstück am nächsten Tag.

Käse und Bier
Was andererseits auch schade ist: Wer seine Zeit in Mechelen nur beim Het Anker verbringt, verpasst die Sehenswürdigkeiten einer typisch flandrischen Stadt. Da gibt es den Grote Markt, also den historischen, nach diversen Kriegseinwirkungen wiederaufgebauten Stadtplatz, auf dem eine dem Sint Rombout (St. Rumold) geweihte gotische Kathe­drale steht. Gleich ums Eck lockt der Kaaswinkel Schockaert mit Verkostungen von Käse und – richtig! – Bieren von Het Anker.

Wieder ein paar Schritte weiter ein Schlösschen mit Österreich-Bezug: Margarethe d’Autriche (1480–1530) lebte lange Zeit hier. Aber wer wegen des Biers in Flandern ist, wird vor allem die Vielfalt der Bierlokale und die Vielfalt der dort angebotenen Biere zu schätzen wissen.

Zum Beispiel im »De Gouden Vis« am alten Fischmarkt, einer Bar, die bei aller Schummrigkeit, die für belgische Bierlokale irgendwie typisch ist, durch ein Bierangebot glänzt, das noch weit über das von Het Anker hinausgeht. Wobei man bei näherem Hinsehen erkennt: »De Gouden Vis« heißt eigentlich »Café De Gouden Vis«, aber natürlich trinkt dort kein Mensch einen Kaffee, Bierlokale in Bel­gien heißen einfach Cafés.

Möglichst ungewöhnliche Biere
Lokale wie dieser »Goldene Fisch« sind typisch für Belgien, besonders für dessen flandrischen Teil – und in den letzten Jahren hat sich ein wahrer Kult darum entwickelt, möglichst viele und möglichst ungewöhnliche Biere auf der Karte zu haben. ­Pionier dabei war das »Kulminator« in Antwerpen, ein winziges Lokal, dessen freundliches Besitzerehepaar rare Jahrgangsbiere im Keller hat, die allerdings nur für Vertikalverkostungen her­ausgerückt werden. Die größte Auswahl (wenn auch nicht so viele Jahrgangsbiere) bietet das »Delirium Café« im Impasse de la Fidélité in Brüssel, nur einen Steinwurf vom dortigen Grote Markt entfernt: Dort hat man sich zur Aufgabe gemacht, stets so viele Biere anzubieten, wie es der Jahreszahl entspricht – zurzeit wären das 2014, doch in Wahrheit dürften es gut 3000 sein.

Delirium Tremens
Das funktioniert aus zwei Gründen: Erstens haben belgische Bierspezialitäten eine wesentlich längere Haltbarkeit als die gängigen Biere im deutschen Sprachraum – sie sind in der Regel deutlich alkoholreicher und auch kräftiger gehopft als unsere Biere. Und das wieder führt, zweitens, zu einem weit über die angegebenen »best before«-Daten hinausreichenden Reifungspotenzial. Das gilt unter anderem für das Bier, das dem »Delirium Café« den Namen gegeben hat: Hieße das Lokal einfach nach der dahinterstehenden Brauerei Huyghe, man wüsste nicht einmal sicher, wie man das ausspricht. Hüg? Hüge? Hoyge? Hoi? Klingt alles krank. Dann lieber gleich »Delirium Tremens« – mit Augenzwinkern und Geschäftssinn hat die Brauerei Huyghe im Jahr 1989 ein 8,5 Prozent starkes obergäriges Bier dieses Namens eingebraut. Und damit einen Welterfolg gelandet.

Wie erfolgreich belgische Biere sind, lässt sich daran ermessen, dass der weltgrößte Bierkonzern AB-InBev, Inhaber von Beck’s, Löwenbräu und Franziskaner in Deutschland, eine seiner Wurzeln im flandrischen Leuven hat: Klarerweise macht der Weltmarktführer den größten Teil seines Umsatzes mit hellen untergärigen Bieren, doch öffnet ihm der Export von belgischen Starkbieren ein profitables Geschäft auf den Gourmet- und Gastroschienen.

Nähe zum Wein
So wurden belgische Biercafés zu erfolgreichen Aushängeschildern der belgischen Bierkultur zwischen Montréal und Auckland, Philadelphia und Wien. Besonders erfolgreich ist belgisches Starkbier im romanischen Sprachraum: Italiener und Franzosen, allgemein als Weintrinker bekannt, hatten schon immer wenig Probleme, Biere zu konsumieren, deren Alkoholgehalt oft einem Wein näher ist als einem Pils. Diese Nähe zum Wein gilt auch als einer der Gründe, wa­rum Belgien und der Norden Frankreichs relativ starke und geschmacksintensive Biere hervorgebracht haben: Weintrinkern ist solch ein Bier viel eher nahezubringen als ein vergleichsweise wenig komplexes Lagerbier.

Ein zweiter Grund ist die weltweite Prohibitionsbewegung, die nach dem Ersten Weltkrieg von den USA auch auf einige europäische Staaten übergesprungen ist. In Belgien wirkte sich das in Form des Vandervelde-Gesetzes aus, das 1919 in Kraft getreten und bis 1983 in Kraft geblieben ist: Es hat den Verkauf von Spirituosen in Bars und Cafés verboten. Nun: Wenn man keine Schnäpse und Liköre trinken konnte, dann wollte man wenigstens Biere trinken, die ähnlich schmecken.

In belgischen Brauereien gibt es übrigens eine viel größere Vielfalt an Hefestämmen als im deutschsprachigen Raum – und oft werden in einem Bier auch unterschiedliche Hefen verwendet, was die Aromen verfeinert und die Spritzigkeit erhöht. 

Tripel Karmeliet / Foto beigestellt97 Punkte
Tripel Karmeliet
Brauerei: Brouwerij Bosteels Buggenhout
Braumeister: Iwan De Meyer
Alkohol: 8,4 % ABV
Bierstil: Tripel
Dieses aus Gerste, Hafer und Weizen gebraute goldgelbe Bier lässt sich beinahe blank dekantieren, es bildet einen stabilen, reinweißen Schaum. Ein erfrischender Duft von Hefe, Vanille und Zitrone strömt aus dem Glas, der Antrunk ist prickeld-fruchtig, erinnert an Pfirsich und Mango – doch ist hier keine Spur von Süße zu merken, dafür eine gewürzhafte Bittere, die aber nicht zu kräftig wird. Sehr trockener Nachtrunk. Passt gut zu Muscheln.
www.bosteels.be

Duvel / Foto: beigestellt96 Punkte
Duvel
Brauerei: Duvel Mortgaat, Puurs 
Braumeister: Hedwig Neven
Alkohol: 8,5 % ABV
Bierstil: Tripel
Man könnte dieses goldgelbe Bier mit dem festen weißen Schaum auf den ersten Blick für ein Pils halten. Aber Teufel auch: Das trinkt sich so leicht wie ein Pils! Der Teufel, flämisch: Duvel, steckt im Detail: Lässt man es etwas wärmer werden, bekommt man die Aromen (neben dem heuartigen Hopfenaroma auch Mango und Melone) in die Nase und spürt die elegante Einbindung der Bittere in eine karamellige Süße.
www.duvel.be

Delirium Tremens / Foto beigestellt96 Punkte
Delirium Tremens
Brauerei: Brasserie Huyghe 
Alkohol: 8,5 % ABV
Bierstil: Tripel
Goldgelb mit starkem, gut haftendem, blütenweißem Schaum. Gewürzhafter Duft, erinnert an Lebkuchen. Voller, gewürzhafter Antrunk. Die Kohlensäure spielt mit der Bittere, dahinter ein pfefferiger Ton – unterstützt durch den wärmenden Alkohol. Dann wieder der Lebkuchen-Eindruck, der den Trunk begleitet – immer vollmundig, nie aufdringlich süß. Im Nachtrunk ein herber, trockener Ton, der nach Fleischgerichten verlangt.
www.delirium.be

Affligem Dubbel / Foto beigestellt95 Punkte
Affligem Dubbel
Brauerei: Affligem Brouwerij/De Smedt Opwijk 
Braumeister: Ellen Mertens
Alkohol: 6,8 % ABV
Bierstil: Dubbel
Kastanienbraun mit massivem, feinporigem, beigem Schaum. Intensive Kakaoaromen. Erfrischend im Antrunk, dennoch von Anfang an herb und schokoladig – Bitterschokolade ist das Charakteristikum, aber da sind auch Assoziationen mit Karamell, Lakritze, Maggi, Birnen und Rosinen. Unwillkürlich denkt man an Kuchen, vielleicht auch Kletzenbrot. Dabei ist das Bier nur minimal süß, die Bittere im Nachtrunk ist eher hopfig. www.affligembeer.be

Affligem Blond / Foto: beigestellt94 Punkte
Affligem Blond
Brauerei: Affligem Brouwerij/De Smedt Opwijk
Braumeister: Ellen Mertens
Alkohol: 6,8 % ABV
Bierstil: Blonde
Hellbernsteinfarbenes, fein opalisierendes Ale mit weißem, dichtem Schaum. Erfrischender, sehr schlanker, fruchtiger Antrunk (Melone? Quitte? Zwetschke? Ananas?), der rasch zur herben, aber nicht aufdringlich bitteren Note führt. Kaum Süße, dennoch ausreichend vollmundig – ziemlich perfekt balanciert und auch für Pilsliebhaber einfach zu trinken. Gewürzhafte Noten im Nachtrunk, Pfeffer, Zimt. Passt gut zu stark gewürztem Fleisch. www.affligembeer.be

Maredsous Tripel / Foto beigestellt94 Punkte
Maredsous Tripel
Brauerei: Duvel Mortgaat, Puurs
Braumeister: Hedwig Neven
Alkohol: 10,0 % ABV
Bierstil: Tripel
Auch in der Abtei nur ein Festtagsbier: Kupferfarben, blank, reinweißer Schaum. Süßes Malzaroma, fruchtige Noten von Ananas. Voller Antrunk, der den hohen Alkoholgehalt spüren lässt – das Bier wirkt fast weinartig, hat eine zunächst verhaltene Bittere, die erst im Nachtrunk deutlich wird und dann noch einmal die Fruchtigkeit herauslockt, man meint Dörrpflaumen zu schmecken. Großartig zu Nusskuchen.
www.maredsousbieres.be

Mc Chouffe / Foto beigestellt94 Punkte
Mc Chouffe
Brauerei: Brasserie d’Achouffe, Achouffe
Braumeister: Eric Lejeune
Alkohol: 8,0 % ABV
Bierstil: Scotch Ale
Die Brauer von Achouffe leisten sich mit diesem Bier einen stilistischen Scherz – sie zeigen, wie eng ein belgisches Braunbier (deklariert ist es als Bière Brune), ein Dubbel und ein Scotch Ale verwandt sein können: Das Ale ist kastaninenbraun mit hellbraunem, dichtem Schaum. Röstnoten in der Nase, ein leicht vollmundiges, zartbitteres Bier auf der Zunge, im Nachtrunk etwas Schokolade – bei all dem eine hohe Drinkability. Großartig zu Fruchtkuchen und fettem Käse.
www.achouffe.be

Saison D’ Erpe Mere / Foto beigestellt94 Punkte
Saison D’ Erpe Mere
Brauerei: Brouwerij De Glazen Toren Erpe-Mere  
Braumeister: Dirk De Pauw
Alkohol: 6,9 % ABV
Bierstil: Blonde
Opalisierendes Goldgelb mit weißem Schaum – mehr dem Namen nach ein Saison, eher ein trockenes Blonde. Ausgesprochen trockener Antrunk, in dem sofort eine kräuterartige Hopfennote auffällt. Kaum Süße. Man könnte dieses Bier für eine besonders gelungene Version eines Zwicklbiers halten, es ist aber viel gewürzhafter (obwohl keine Gewürze zugesetzt sind). Ideal zu fettarmem Käse oder Bündnerfleisch. www.glazentoren.be

Troubadour Magma / Foto beigestellt94 Punkte
Troubadour Magma
Brauerei: Brouwerij Troubadour, Ursel
Braumeister: Stefaan Soetemans
Alkohol: 9,0 % ABV
Bierstil: Tripel
Ein Tripel für die Liebhaber von IPAs. Dunkelbernstein mit starker Trübung und leichtem Rotstich, kräftiger, cremefarbener Schaum und ein Duft nach Zitrus, Nadelholz und Kakao. Pfefferig-herber Antrunk, der von molliger Süße aufgefangen wird. Daran schließen sich die fruchtigen Hopfenaromen (Hinweis auf das Dry-Hopping) und eine intensive Bittere an, ehe das Bier mit kakaoigen, vom Röstmalz geprägten Tönen ausklingt.
www.troubadourbeers.com

Urthel Hop-It / Foto beigestellt94 Punkte
Urthel Hop-It
Brauerei: Brouwerij De Koningshoeven Berkel-Enschot
Braumeister: Hildegard van Ostaden
Alkohol: 9,5 % ABV
Bierstil: Tripel
Hellbernstein mit wenig Schaum – und einem intensiven, kräuterartigen Hopfenaroma. Überraschend süßer Antrunk, der einen starken Kontrast zur namensgebenden extremen Hopfung bildet. Sehr vollmundiger Trunk, bei jedem Schluck spielen Süße und Bittere mitein­ander, wobei die Bittere dann den Nachtrunk bestimmt. Dieses flandrische Rezept wird jenseits der niederländischen Grenze gebraut – das Ale passt am besten zu Wildgerichten.
www.urthel.be

Gauloise Ambrée / Foto beigestellt93 Punkte
Gauloise Ambrée
Brauerei: Brasserie du Bocq, Purnode
Braumeister: Xavier Yernaux
Alkohol: 5,5 % ABV
Bierstil: Dubbel
Kastanienfarben mit leichter Trübung und kräftigem, beigem Schaum. Duft nach ­Grünmalz und Bisquit. Schlanker, leicht herber Antrunk – keine wahrnehmbare Süße. Dennoch viele Geschmackseindrücke vom Malz, es erinnert etwas an Schokolade. ­Erstaunlich, dass man das Prickeln der Kohlensäure, gemeinsam mit einer milden Hopfennbittere, erst im Nachtrunk wahr­nehmen kann.
www.bocq.be

Von Conrad Seidl
aus Falstaff Deutschland Nr. 04/14

Conrad Seidl
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