Basel: Blick in die Zukunft

Neue Restaurants in Kirchen und alten Zunfthäusern: Basel überrascht mit gastronomischer Experimentierfreude. Und auch was auf die Teller kommt, ist eine Freude für Genießer.

Irgendwo vor der Mittleren Brücke stürzen sie sich ins Wasser und lassen sich treiben. Ihre Siebensachen in den Schwimmfisch gewickelt, auf den sie sich stützen. Das dauert so genüssliche 15 bis 20 Minuten, dann steigen die Baseler und ihre Gäste wieder aus dem Rhein, trocknen sich mit ihren im Schwimmfisch verstauten Handtüchern ab, ziehen sich das T-Shirt über und schlendern zur nächsten Buvette. Dort gibt es dann einen Hugo oder einen Aperol Spritz, ein Glas Weißwein oder ein Bier. Man sitzt unkom­­p­liziert auf den Stufen, die zum Fluss führen, oder unter weißen Sonnenschirmen, unter ­denen eilig aufgestellte Biergartengarnituren zum Verweilen locken. So eine Buvette genannte Sommer-Freiluft-Gaststätte strahlt mal den rauen Charme eines Schiffscontainers aus, mal nebelt sie ihre Gäste mit Rauchschwaden vom Grill ein, an dem Bikinifiguren mit Badehosentypen um die Wurst flirten.

Fügt sich in das hübsche Stadtbild: das Rathaus / Foto: Brigitte JurczykDas Comeback des Rheinufers
Die Sonnenseite des Rheinufers in Basel gleicht ab dem Frühling einem belebten ­Rivierastrand: lauter junge Leute in Gute-Wetter-Laune. Das war nicht immer so. Jahrelang galt der Rhein, der sich durch die Stadt schlängelt, als hoch schadstoffbelastet. In den 1980er-Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, in der Abwasserkloake der chemischen Industrie zu baden, die Basel im Dreiländereck von Schweiz, Deutschland und Frankreich groß gemacht hat. Aber die riesigen Pharma- und Chemiekonzerne wie auch die Großbanken brachten und bringen jede Menge ­internationales Publikum in die drittgrößte Stadt der Schweiz – und mit ihm ein anspruchsvolles Publikum, das sich für mehr als eine Wurst und ein Bier interessiert.

Wenn sich zur Art Basel oder Basel World – die weltweit wichtigsten Messen für moderne und zeitgenössische Kunst sowie Schmuck und Uhren – die Straßen der Stadt noch einmal mehr füllen, tanzt die Metro­pole auch schon mal aus der Reihe. Da wird, wie im letzten Jahr, aus der Elisabethenkirche in der Altstadt ein Pop-up-Restaurant und Tim Raue, Berliner Ausnahmekoch, einge­flogen, um dort für die illustre Gästeschar zu kochen. Aber nicht nur Kirchen, sondern die gesamte Restaurant­szene Basels profitiert zunehmend vom internationalen Spirit, der die Stadt beflügelt. Dabei war Basel schon immer ein Schmelztiegel französisch-schweiz-deutscher Esskultur. Die Grenzen zu den Nachbarländern sind dank Schengen (fast) fließend, und so kam und kommt immer noch besonders aus dem ­(küchen-)traditionsreichen Elsass jede Menge Gutes in die Baseler Töpfe und auf den Teller des Gasts.

Die »Brasserie« im Les Trois Rois, dem mit Abstand besten Hotel Basels / Foto: Brigitte JurczykEinflüsse aus Frankreich, Köche aus Deutschland
Freitagabend in der »Brasserie« im wunder­schön restaurierten Les Trois Rois, Basels mit Abstand bestem Hotel, direkt am Rhein: Die Tische sind weiß eingedeckt, Kerzen brennen, der Service trägt bestes Tuch. Vor dem einen Tisch wird frisch ein Tatar vom Simmentaler Rind, wahlweise mit Cognac oder Whisky, zubereitet, vor dem anderen türmen sich Aus­tern auf Eis. Eine Terrine de foie gras mit Birnen-Chutney, schwarzen Walnüssen und Brioche steht genauso auf der Speisekarte wie Weinbergschnecken und ein Perlhuhn aus der Bresse mit Périgord-Trüffel – das klassisch-französische Programm, perfekt ­zubereitet, etwas leichter als das Original.

Gleich nebenan zelebriert Peter Knogl im »Cheval Blanc« die Haute Cuisine mit Bre­tonischem Hummer und Bergamotte oder Täubchen mit marokkanischem Aromabouquet, und zwar so gut, dass er auch diesmal wieder mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. Ausgerechnet ein Deutscher, ein Niederbayer, kocht in der Schweiz französisch. Dass Knogl nach nur sieben Monaten im »Cheval Blanc« 2007 mit einem Michelin-Stern für seinen Einsatz belohnt, dann Aufsteiger des Jahres 2009 wurde und kurz darauf den zweiten Stern ergatterte, verdankt der 45-Jährige – ganz bescheiden – seinem Lehrer Heinz Winkler aus Aschau. Vielleicht auch seiner Mutter, der er als kleiner Junge im heimischen Deggendorf schon immer gern beim Kochen geholfen hat.

Eine Deutsche im Baseler ­Gourmetzirkus: Tanja Grandits / Foto: beigestelltZu einer weiteren Deutschen im Baseler Genusstheater muss man hinaus aufs Bruderholz fahren. Auch sie hat bei einem Großen, wenn nicht dem Größten – Harald Wohlfahrt in der Traube Tonbach in Baiersbronn gelernt: Tanja Grandits, ein zierliches, kleines, energisches Persönchen mit einem ungeheuren Repertoire an Aromen und einem Faible für Farben. 2014 wird sie zur Köchin des Jahres erkoren, mit zwei Michelin-Sternen ­geschmückt. Warum? Ihr ers­tes Buch »Aroma pur. Meine fröhliche Weltküche« gibt Aufschluss. Wie sie mit Gewürzen jongliert, ist einmalig, wie sie Aromen kombiniert, aufregend. Im »Stucki«, ihrem Küchenkosmos, den sie von Hans Stucki übernommen hat, ist der Gastgeber übrigens ihr Mann René Graf Grandits, auch ein gelernter Koch. Aber er sagt von sich: »Meine Frau kocht so viel besser!« Vor Kurzem haben die beiden einen kleinen Laden direkt beim Res­taurant eröffnet. Dort kauft man Tees, Brot, Suppen – und natürlich Gewürze.

Aromen-Explosion
Zu der Baseler Top-Kreativ-Szene in Sachen Kochkunst gehört auch eindeutig Erik Schröter: »Meine Philosophie steht für eine leidenschaftliche, moderne, regionale, naturnahe und gesunde Küche!«, sagt der Mann, der schon seit drei Jahrzehnten am Herd steht und dem nur die perfektesten und fri­schesten Rohmaterialien gut genug sind. Wildkräutern, fast vergessenen Gemüsesorten und essbaren Blüten gilt seine ganze Passion. Daraus kreiert er im Restaurant »Matisse« wunderbar leichte, aromenstarke Gerichte. »Wann immer es geht, sammle ich die jungen Kräuter und Blüten aus den Wäldern selbst«, sagt Schröter. Getrocknet, eingelegt, mariniert oder dehydriert bilden sie später den Kern und die Seele seiner Gerichte.

Wildkräuter, fast vergessene Gemüsesorten und essbare Blüten sind Basis für die
Gerichte im »Matisse« / Foto: Brigitte Jurczyk

Wie Erik Schröter ist auch Michael Baader ein alter Hase an den Töpfen. Seit 24 Jahren leitet er die Küche im »Bel Étage«, dem Gourmetrestaurant im ersten Stock des Kunsthotels Teufelhof am Leonhardsgraben. Und wie Schröter wird auch Baader nicht müde, immer wieder neue Ideen in köstliche Kunst umzusetzen. Ein Topinambursüppchen würzt er mit Kakao und verfeinert es mit Tranchen vom geräucherten Zanderfilet. Ein ungewöhnlicher Dreiklang, der aber voller Harmonie ist. Die Mascarpone-Trüffelravioli kombiniert er mit Petersilienwurzel und einem rohen Bioeigelb – eine fast schon schlich­te Kreation, die aber himmlisch mundet. Auf seiner Speisekarte findet sich Überraschendes wie Rentierrücken mit Schwarzwurzeln oder ein Münsterkäsestrudel mit Pflaumen – seine vielen (Stamm-)Gäs­te lieben ihn dafür. Wie das »Matisse« wurde auch das »Bel Étage« in diesem Jahr erneut mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet.

Und was machen die anderen Köche in Basel? Auf sehr hohem Niveau arbeitet auch das Team um Peter Moser, der zusammen mit Claudio Stöckl das Feinschmeckerrestaurant »Les Quatre Saisons« im Hotel Pullman Basel Europe bespielt. Das Haus, das schon sehr lange und mit einer mehrfach ausgezeichneten Küche auf dem Markt ist, war die letzten anderthalb Jahre geschlossen. Es wurde ausgehöhlt und komplett neu eingerichtet. »Wir bieten eine klassische Küche mit modernem Einfluss, ohne Schaumschlägerei«, sagt Moser. Mit Claudio Stöckl hat er sich einen jungen kreativen Koch aus Deutschland an seine Seite geholt, der schon im Restaurant »Bareiss« in Baiersbronn beweisen konnte, was in ihm steckt.

Top-Chocolatiers
Einflüsse aus Frankreich, Köche aus Deutschland – aber was ist eigentlich typisch schweizerisch an der Grenzstadt im Dreiländereck? Vielleicht die ganz besonders gepflegte Confiserieszene: Kaum eine Straße in der Altstadt, die nicht nach süßen Köstlichkeiten duftet; die Dichte an Läden der Traditions­chocolatiers ist immens. An Markttagen ist die Confiserie Schiesser ­gegenüber dem roten Rathaus gut gefüllt.

Im Läckerli Huus gibt es köstliche Kleinigkeiten / Foto: Brigitte Jurczyk

Im Tearoom im ersten Stock der 1870 gegründeten Baseler Institution werden Torten und Gebäck serviert. Die Schokoladen-S, ein Traum von Eiweißschaum mit sattem Kakao­geschmack, landet auf jedem zweiten Teller. Zum Mitnehmen lässt man sich kandierte, in feinste Schokolade getauchte Orangen-Schnitzel einpacken.
Einen Steinwurf weiter offeriert das Läckerli Huus Basels Signature-Gebäck: dunkle Gewürzkuchen mit feiner Puderzuckerglasur. Bei Beschle taucht man schon seit 1898 in das Reich feinster Schokoladen ein, und bei Brändli verführen seit 1935 neben frischen Trüffeln aromatische Choco-Mandeln und Fruchtgelees zum Naschen.

Moderne trifft auf Tradition: Fine Dining im Zunfthaus zum Schlüssel / Foto: Brigitte JurczykTraditionen – davon lebt die Stadt im Dreiländerdreieck. Nicht nur zur Fastnacht, wenn das närrische Treiben ganz Basel erfasst. Das Zunftwesen zum Beispiel ist immer noch sehr aktiv. Die Zunft zum Schlüssel, eine der angesehensten am Rhein, hat das urkundlich schon 1306 erwähnte Zunfthaus in unmittelbarer Nähe des Rathauses fein herausputzen lassen. In seinem Inneren findet sich ein sehr schickes Restaurant mit abgetrenntem Bistro mit unkomplizierter Karte. Im Restaurant selbst wird dagegen anspruchsvolle Küche aufgetischt. Ge­rahmt von dunkelrot gestrichenen Wänden isst man hier zum Beispiel ein gebratenes Meerwolffilet auf Puy-Linsen und Sauternes-Jus oder ein saftiges, zartrosa Kalbssteak mit Morcheln. Der Weinkeller ist gut gefüllt und das hausgemachte Sorbet ein fruchtiger Abschluss. Übrigens: Natürlich sind hier auch Nicht-Zunftmitglieder gern gesehene Gäste.

Fein und bodenständig
Die Baseler lieben aber auch das Restaurant »Kunsthalle« – ebenfalls ein zwei­geteiltes Gastroerlebnis mit bodenständiger Küche hier und feiner dort. Im Sommer ­tafelt man unter dem schattigen Dach von Bäumen. Ein romantischer Platz – wie auch die Terrasse des Hotel Krafft direkt am Rhein. Was der junge und sympathische ­Silvio Wieland hier oder im wunderschönen und seit Jahren beliebten Restaurant »Krafft« auf die Teller zaubert, ist einfach eine große Freude!

Zweigeteiltes Gastroerlebnis in der »Kunsthalle«: Hier gibt es sowohl bodenständige als auch feine Kost / Foto: Brigitte Jurczyk

Vor zwei Jahren hat auch das »Volkshaus« in der Nähe der Messe als schickes, von den Baseler Stararchitekten Herzog & de Meuron designtes Restaurant eröffnet. Auch dieses ist ein Traditionshaus aus dem Jahr 1925, an dem man sehr hängt. Jetzt wirbelt hier Marc Arnold in der großen Küche herum und kann seine Gäste mit einem Mix aus ­bodenständigen und ausgefallenen Gerichten begeistern. »Das Rindstatar schneide ich zum Beispiel von Hand in nicht allzu kleine Stücke, das ist dann ein ganz anderes Kau­gefühl«, verrät der 43-Jährige.

Jakobsmuscheln, Steak frites »Café de Paris« oder Moules frites, dazu ein Glas Chasselas oder Pouilly Fumé und man fühlt sich hier wie Gott in Frankreich. Pardon, natürlich wie Gott in Basel!

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Text von Brigitte Jurczyk aus Falstaff Deutschland 05/14

Brigitte Jurczyk
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