Petit Sacher: Im altehrwürdigen Fünf-Sterne-Haus in Wien hat man die Kleinen als große Chance erkannt.

Petit Sacher: Im altehrwürdigen Fünf-Sterne-Haus in Wien hat man die Kleinen als große Chance erkannt.
© Hotel Sacher Wien

Aus der 1-Meter-Perspektive: Kinder als Zielgruppe

Welcher Gastronom möchte seine Tische nicht auch um 18 Uhr vergeben? Welche Hotelkette nicht Gäste von klein auf an sich binden? Und trotzdem: Mit der Zielgruppe Familie tun sich viele schwer. Warum nur?

Warum immer nur Schnitzel und Pasta? Eine einfache Frage – würde man meinen. KARRIERE hangelte sich von Gastronom zu Koch, von Trendexperte zu Hoteldirektor und erkannte:
Es geht um viel mehr. Aber der Reihe nach.
Die Gastronomen

»Secret Seven Gnocchi« und »Fantastic Fish Stew« – so heißen zwei der Gerichte, die der TV-Veteran Jamie Oliver – bzw. seine Franchisenehmer – den Kindern in den »Jamie’s Italian Restaurants« offeriert. Der Brite ist selbst fünffacher Vater und seit Langem für sein Engagement in puncto besserer Ernährung für den Nachwuchs bekannt. Bei seinen Menüs steckt was dahinter – bzw. es steckt viel drinnen.

Zum Beispiel mindestens zwei Portionen Obst oder Gemüse in jeder Speise. Selbst in der Pizza, die ohne viel Salz daherkommt. Die Menüs sind gewieft konzipiert, der Fun-Faktor wurde mit gedacht. Salat wird nicht etwa am Beilagenteller serviert, sondern im Einmachglas – zum Selbstmarinieren und Schütteln. Aktuellen Medienberichten zufolge strauchelt die »Jamie’s Italian«-Kette zwar, aber wohl kaum wegen der Nonchalance, mit der Kinder hier für voll genommen werden. Diese wäre beispielhaft, ist es aber leider nicht.

Die Suche nach weiteren Gastronomen, die ähnlich charmant auf Kinder eingehen, verlief im Sand. »Wir probieren immer wieder, neue Gerichte anzubieten, stellen dann aber fest, dass sich fast 80 Prozent der Kinder für das Schnitzel entscheiden«, heißt es da etwa auf Nachfrage. Die Vermutung: Wenn sich der Nachwuchs selbst etwas aussuchen darf, dann eben das, was er kennt und ganz sicher schmeckt. Fett, Zucker – man kennt das Spiel. Viele Köche, die etwas auf sich halten, setzen daher zumindest auf regionale und biologische Zutaten und das ist ausgesprochen löblich. Oder: Man verzichtet auf eigens kreierte Kindermenüs und animiert die kleinen Gäste, die Speisen der Eltern in abgespeckter Portionsgröße zu kosten. Ordern die Eltern selbst Spaghetti oder Pommes, wird’s natürlich schwer.
Ein gewisser Hauch von Ratlosigkeit wehte KARRIERE zu Trendexperte und Berater Pierre Nierhaus, selbst 25 Jahre lang Gastro-Unternehmer. Nierhaus ist einen nicht unbedeutenden Teil des Jahres international unterwegs, er veranstaltet unter anderem Reisen für Köche und Gastronomen in die Metropolen dieser Welt. Ist man anderenorts kreativer?

Berater Pierre Nierhaus sieht viel Potenzial in der Zielgruppe Familie.
© Joppen
Berater Pierre Nierhaus sieht viel Potenzial in der Zielgruppe Familie.

Der Trendexperte

»An der Flexibilität eines Restaurants bzw. seiner Mitarbeiter erkennt man Qualität«, formuliert Nierhaus einen Merksatz. »Es ist wichtig, individuell auf die Gäste einzugehen.« Die Kinderfreundlichkeit eines Restaurants höre aber nicht bei der Karte auf, betont der Hesse. »Buntstifte sind das Allermindeste« und Spielzimmer, die natürlich vom Tisch der Eltern einsehbar sein müssen, auch keine Seltenheit mehr.

Immer häufiger findet sich auch die Kinderkarte, die zum Malen, Rätsellösen und Lesen animiert. »Alles, was wir für diese Zielgruppe machen, betrachten wir aus 1-Meter-Perspektive«, verspricht der Berater und bringt ein Beispiel: »Ein Kinderhotel hatte den Wunsch, Weinverkostungen für die Eltern anzubieten. Wie aber die Söhne und Töchter derweil beschäftigen? Wir haben das gelöst, indem wir eine Getränke-Zapfanlage auf Augenhöhe der Kinder installiert haben.« Man kann sich vorstellen, wie begeistert die Kleinen sind. Eine eigene Zapfanlage! Trinken, so viel man will, ganz ohne den Kellner bitten zu müssen? Jackpot!

»Ein Kinderhotel, ja klar, die müssen ja.« Das stimmt schon, aber eines kann man 1 : 1 übernehmen: den Respekt vor dem Lebensmodell Familie. Und dabei geht es nicht darum, ein Auge zuzudrücken, wir reden hier vielmehr von einem cleveren Businesszug. »Als Gastronom sollte man zwei Dinge bedenken«, so Nierhaus. »Erstens: Familien kommen um 18 Uhr, das heißt, man kann die Tische zweimal am Abend vergeben. Und zweitens: Eltern sind heute nicht selten schon etwas älter, sprich: Wir haben es hier oft mit einer gut situierten Zielgruppe zu tun.« Mit einer gut situierten und gut vernetzten Zielgruppe!

Eltern – insbesondere Mütter von Kleinkindern – tauschen sich mit Vorliebe über Lokale aus, in denen Hochstühle vorhanden und die Geräuschkulisse kein Drama ist. »In Szenerestaurants tut man sich mit Kindern oft schwerer als in der Systemgastronomie, in der es ja Manuals für die Mitarbeiter gibt. Wie geht man mit einem Gast im Rollstuhl um, wie mit Eltern von Babys?« Beispiel Vapiano: Einige Franchisenehmer bieten Back-Workshops für Kinder an.

Man muss kein Kinderhotel führen, um der Zielgruppe auf Augenhöhe zu begegnen.
© Hotel Sacher Wien
Man muss kein Kinderhotel führen, um der Zielgruppe auf Augenhöhe zu begegnen.

Die Hotelketten

Der viel gereiste Change Manager – und Vater von fünfjährigen Zwillingen – liefert noch einen weiteren Hinweis: Hotelketten! So erinnert er sich etwa an eine Schnitzelrallye im »Ritz-Carlton Vienna«.

Durch die Flure rennende Kinder im Fünf-Sterne-Hotel! Ja, das gibt’s tatsächlich und das ist sogar Teil eines groß angelegten »Ritz Kids«-Programmes – von Hawaii bis Kasachstan. Das beginnt beim eigenen Check-in für Kinder (inklusive Special-Zimmerschlüssel) und endet jeden Abend mit einem Dinner, bei dem die hungrigen Mäulchen sofort eine Kleinigkeit zu kosten bekommen.

Auch das legendäre »Sacher« nur einige Minuten vom »Ritz-Carlton« entfernt hat eine eigene Kids-Schiene namens »Petit Sacher«. Kinderbademantel, spezielle Spa-Treatments und ein Aufschlagen der Mini-Betten gehören hier zum guten Ton. Das beliebteste Gericht auf der Karte? Der »Stachelige Paradeiser-Mozzarella-Igel«? Oder die »Hausgemachten ›Teddy Franz‹-Nudeln«, wahlweise mit -Paradeisern, Kräutern oder Bolognese?
Man erratet es vermutlich . . .
Nierhaus veranstaltet auch Trendworkshops für Hospitality-Profis.

Die nächsten Termine:
New York vom 29. 3. bis 1. 4. 2018 und Kopenhagen vom 9. bis 11. 5. 2018
www.nierhaus.com

Aus dem Falstaff Karriere Magazin 01/2018.

Nicola Afchar-Negad
Autor
Mehr entdecken
Mehr zum Thema
Hauptspeise
Spinatknödel
Diese herzhaften Spinatknödel sind eine Spezialität der Wiener Kult-Wirtin Stefanie Herkner alias...
Von Stefanie Herkner
Alpine Küche
Rahmsuppe mit Bohnensterz
Im Gasthaus zur Traube in Neckenmarkt steht neben Krautsuppe, Strudelteller und Grammelknödel auch...
Pasta
Pasta alla norma
Sternekoch Gualtiero Marchesi verrät in dem Kochbuch «Globis italienische Küche» wie die Pasta...
Emilia-Romagna
Fasnachtschüechli
Gualtiero Marchesi verrät in dem Kochbuch «Globis italienische Küche» wie die «Chiacchiere al...