Aromenspiele zum Dessert

Die Patisserie ist nicht mehr süß. Zumindest nicht ausschließlich. Nachtischkünstler experimentieren mit Gewürzen und Gemüsen – und treten aus dem Schatten der Chefköche.

Die Trend-Patissiers wollen offensichtlich nicht mehr nur mit den gängigen Zutaten der süßen Küche ­arbeiten. Petits Fours mit buntem ­Zuckerguss, buttrige Torten, dicke Schokoladencremes sind passé, stattdessen wird das Dessert würziger und vielfältiger im Geschmack. Wie die Sterneköche, so experimentieren auch die Patissiers mit früher fachfremden Spitzenprodukten. Sie linsen in die Töpfe ihrer Küchenkollegen und holen sich aus den Gemüsekörben, was das Menü feinwürzig, mit milder Süße ideal abrundet – ohne pappsatt zu machen. Herbe Aromenkunst statt Kalorienbomben – der Gast goutiert’s, ohne sich die lästige Frage zu stellen, ob er sich die süße Sünde noch ­leisten sollte.

Dabei sind Präzision und Perfektion Stichworte, die Spitzenligisten wie Andy Vorbusch mit jedem servierten Dessertteller verwirklichen wollen. Zwar nennt Vorbusch sich und seine Helfer liebenswürdig-spöttisch »Puddingkocher«, doch in ihrem Reich im Schlosskeller weitab von der Hitze des Küchengefechts rühren Schneebesen und Thermomixer ganz andere Produkte zusammen als Vanillepulver und Karamellcremes. »Wir sind ein ­Posten, der den Teller ganz für sich produziert«, sagt Vorbusch und betont, dass er genau das gut findet: »Die Patisserie ist ein eigenes Universum, entscheidend ist die spektakuläre Weiterverarbeitung von Spitzenprodukten.

Die Patisserie bleibt nicht mehr unter sich
Alleinherrscher ist er freilich nicht in diesem süß-herben Universum. Die Desserts entwickelt Vorbusch gemeinsam mit Joachim Wissler, seinem Chef und Drei-Sterne-Koch im feinen »Schloss- restaurant« der Althoff-Hotelgruppe. Die beiden Küchenhelden überlegen im Separee, welche Produkte und Zubereitungsart das vielgängige Menü perfekt ergänzen, dann wird ausprobiert, probegerührt und weiterdiskutiert – bis, manchmal erst nach einigen Wochen, beide ihren Drang, etwas Neues zu schaffen, befriedigt sehen. »Im Jahr 2000 standen ganz in der französischen Tradition Törtchen auf der Dessertkarte, heute sind es vergängliche Kunstwerke«, beschreibt der 33-Jährige den Wandel.

Der »Wow-Effekt«
Spielen ja, Chichi nein. So lautet die geradlinige Devise von Alexandra Lang, die in diesem Jahr vom »Schlemmer Atlas« zum Patissier des Jahres gekürt wurde. Die 25-Jährige, die im familiengeführten Romantik Hotel Residenz am See in Meersburg am Bodensee aufwuchs, hatte von Beginn an ausschließlich Süßes im Sinn: »Köchin zu werden, das hat mich nicht interessiert.« Konsequent ging sie bei Konditoren in die Lehre und führt nun die Dessertküche. Chichi, das ist für Lang der starke Trend der vergangenen Jahre hin zum Dekonstruieren und zu den Texturen der Molekularküche. »Das kann man mal bei einer Komponente machen«, überlegt sie, findet es aber weit spannender, »Klassiker aufzupeppen«. Wie die Birne Helene 2010 oder das Petit von der Bodenseezwetschke, beides aus der Herbstkarte. Einen »Wow-Effekt« will die Chef-Patissière des Ein-Stern-Restaurants »Casala« bei den Gästen erwirken. »Der Genuss darf beim Hauptgang nicht abbrechen«, sagt sie und meint, im Dessert könne es durchaus eine ­Geschmackssteigerung geben.

Haubenkoch Petz von süßen Sinnen
Den Trend hin zur Dessertküche entdeckte auch Christian Petz für sich. Petz hatte als hoch dekorierter Chefkoch im Wiener Hotel Palais Coburg Jagd auf immer neue Geschmacks- erlebnisse gemacht. Doch dann besann er sich gemeinsam mit seinem Patissier Thomas Scheiblhofer auf den Energieträger Schokolade. Seit Jahresbeginn entwickeln die beiden in der Xocolat-Manufaktur süßen Stoff, der als edle Trüffeln oder feiner Brick das Wiener Haus verlässt – zu genusssüchtigen Kunden der Xocolat-Läden oder ins Restaurant »Holy Moly« auf dem Badeschiff an der Donaukanallände, in dem eine kleine Speisekarte von einem großen Pralineewagen dominiert wird.

Südamerikanische und indische Aromen, die Genussrichtungen bitter, scharf und würzig – das alles sieht Christian Petz für die nächsten Jahre auf der Speisekarte. Aromatische Krea­tionen mit saisonalen Qualitätsprodukten in allen Gängen, also auch beim Dessert, meint Petz, das sei ökologisch vernünftig und geschmacklich perfekt. Da kann man nur hoffen, dass die Lebensmittelindustrie nicht zu schnell aufspringt auf den Zug, damit die beiden ­Chocolatiers noch eine Zeitlang spielen ­können.

Den vollständigen Text lesen Sie im Falstaff Nr. 8/2010.


Rezepte:

Geeister Kräutergarten

Ananasravioli auf rosa Pfeffervinaigrette mit Kokusnusseis

Xocolat-Dessertkomposition

Text von Ruth Lemmer

Fotos von Thomas Schauer

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