Alte Sorten: Ochsenherz und Baumspinat

Der Trend ist unverkennbar: Immer öfter verwenden Österreichs Spitzenköche seltene Gemüsesorten. Das Retro-Gemüse schmeckt einfach besser.

Es sind Bohnen, und zwar ungewöhnlich lange. Sie messen einen Meter oder sogar noch mehr – deshalb heißen sie auch »Meterbohnen«. Ziemlich unbekannt sind sie in unseren Breiten, die langen Gewächse werden hauptsächlich in südlichen Gefilden angebaut und dort wegen ihres delikaten Geschmacks geschätzt. »Wir haben auch Sorten, die bis zu zwei Meter lang werden«, sagt Eveline Bach, die mit ihrem Mann Mario seit über 30 Jahren in Wien-Donaustadt eine Gärtnerei betreibt. Nicht irgendeine Gärtnerei, sondern eine, die eben auf solch ausgefallene Gemüsedelikatessen spezialisiert ist.

Zu Bachs Stammkunden gehört Heinz Reitbauer vom Wiener »Steirereck«. Erst vor Kurzem als neuntbestes Restaurant der Welt gefeiert, ist das »Steirereck« bekannt für die perfekte Zubereitung von Gerichten mit Produkten, die es kaum woanders gibt, darunter auch rares Gemüse, seltene und alte Sorten, solche, die erst in letzter Zeit von einigen Anbietern vermehrt an Top-Köche, aber auch an private Kunden verkauft werden. Mit über 70 Paradeisersorten, mit 50 verschiedenen Melanzaniarten, mit Raritäten wie Pilzkraut, kleinen und äußerst geschmacks­intensiven Kohlrabi oder »Russischen Gurken« hat sich die Gärtnerei Bach einen Namen gemacht.

»Es ist doch verrückt: In der Zeit von Maria Theresia hat es bei uns eine wesentlich größere Vielfalt an Obst und Gemüse gegeben als heute.« Heinz Reitbauer, »Steirereck« / © Moritz SchellEs sind unter anderem die Köche vom »Taubenkobel«, die hier regelmäßig einkaufen, oder Meinrad Neunkirchner vom Gasthaus »Freyenstein«, ein Koch, der sich wie kaum ein anderer auf die Verarbeitung von seltenen Wildpflanzen und Gemüsesorten spezialisiert hat. »Gemüse der etwas ausgefallenen Art ist ein echter Trend geworden«, sagt Neunkirchner, »die Leute schätzen das, obwohl viele gar nicht wissen, was es alles gibt.«

Ein Trend, der bei genauerer Betrachtung allerdings noch einem Pflänzchen gleicht. Von den Zigtausenden Pflanzenarten, die weltweit kultiviert werden, haben heute lediglich 160 eine wirtschaftliche Bedeutung, und nur rund 30 davon werden in den Küchen der Normalverbraucher verwendet. Statistisch gesehen sind es weltweit nur drei Arten, die den größten Teil der täglichen Nahrung der Menschen ausmachen: nämlich Reis, Mais und Weizen.

Zahllose Gemüse- und Obstsorten sind im Laufe der Zeit völlig aus den Küchen und damit auch aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden. Begriffe und Namen wie »Baumspinat« oder »Gartenmelde« kennt heute kaum noch jemand, da diese Gemüse in den Supermärkten so gut wie gar nicht erhältlich sind. Dabei eignen sich gerade diese beiden Blattgemüsearten wunderbar für Salate. Die Gartenmelde (Atriplex hortensis) zählt zu den ältesten Kulturpflanzen überhaupt und wurde schon von den alten Griechen geschätzt. Durch die Einführung des Spinats wurde sie weitgehend verdrängt und erlebt erst jetzt über den Umweg der Spitzengastronomie eine Renaissance. »Ein wunderbares Blattgemüse mit einem sehr feinen Geschmack«, schwärmt Heinz Reitbauer, der die Gartenmelde ebenso gern verwendet wie Baumspinat.

Bei diesem handelt es sich um eine Pflanze mit einer Wuchshöhe von bis zu drei Metern – ein wahrer Gigant, was schon aus der lateinischen Bezeichnung »Chenopodium giganteum« hervorgeht. Baumspinat kann gekocht oder als Beigabe zu Salat verwendet werden.

Paradeiser einmal anders: die Sorten Banana Legs, Blue, Black und Green Zebra, Weißer Pfirsich / Foto beigestellt
Paradeiser einmal anders: die Sorten Banana Legs, Blue, Black und Green Zebra, Weißer Pfirsich / Foto beigestellt

Paradeiser
Paradeiser rangieren in unseren Breiten schon seit Jahrzehnten auf Platz eins der meistgegessenen Gemüse. In Österreich liegt der Pro-Kopf-Verbrauch bei 23,6 Kilogramm. Im Vergleich dazu weit abgeschlagen: Zwiebeln mit 9,1 Kilogramm und Karotten mit rund sieben Kilogramm.

Auch die Sortenvielfalt ist bei Paradeisern am größten. Das zeigt sich eindrucksvoll am Beispiel des burgenländischen »Paradeiserkönigs« Erich Stekovics, der über die weltweit größte Sammlung an Paradeisersorten verfügt. Immerhin 3200 alte Sorten hat er im Programm, die er zu Sugos, Konfitüren und Chutneys verarbeitet – darunter die »Anna Russian«, eine uralte russische Sorte, die lange Zeit von der Bildfläche verschwunden war. Zu den meistverkauften Sorten zählt bei Stekovics der Cocktailparadeiser »Black Cherry« – dunkel, süß und besonders aromatisch im Geschmack.

Einer der heute bekanntesten Fleischpara­deiser unter den »historischen Sorten« ist der »Brandywine«. Er wurde im Jahr 1885 von Amish-Farmern in Pennsylvania, USA, angebaut und erfreut sich heute weltweit wegen seines Aromas großer Beliebtheit. Die dünnschalige Sorte gibt es in mehreren Versionen, darunter »Brandywine Purple«, »True Black Brandywine«, »Pawer’s Brandywine« und »Yellow Brandywine«.

Auch die »Purple Calabash« ist eine historische Sorte, sie stammt aus dem 16. Jahrhundert. Die violettbraunen, mittelgroßen und flachrunden Früchte sind unter Feinschmeckern außerordentlich beliebt. Ähnliches gilt für die »Cherokee Purple«, eine Sorte, die der Überlieferung nach bereits von den Cherokee-Indianern kultiviert wurde. Mit der Wiederentdeckung dieser Paradeiserrarität soll die Nachfrage nach dunklen Sorten vor Jahren begonnen haben. Aus ihr sind die Sorten »Cherokee Chocolate« und »Cherokee Green« entstanden.

Es gibt auch Sorten jüngeren Datums, die unter Köchen heiß begehrt sind: Die »Sungold« etwa wurde ursprünglich in Japan gezüchtet und ist erst seit 1996 auf dem Markt. Heinz Reitbauer nennt diesen köstlichen, geschmacksintensiven Cocktailpara­deiser schlicht »sensationell«. Und auch an der »Green Zebra« mit ihrer charakteristischen grüngelben Färbung finden immer mehr Küchenchefs Gefallen. So betont etwa die kalifornische Gastronomin Alice Waters, dieser 1983 gezüchtete Super-Paradeiser sei für sie das Beste, was es auf diesem Sektor gibt.

Unter den Klassikern der Fleischparadeiser sticht wiederum das inzwischen weitgehend bekannt gewordene »Ochsenherz« hervor, von dem es weiße, rote und orangefarbene Varianten gibt. In Italien – vor allem in Ligurien – wird er unter der Bezeichnung »cuore di bue« schon lange geschätzt und gern für Salate verwendet. Ideal für Saucen sind hingegen die Sorten »San Marzano«, »Green Sausage« und »Andenhorn«.

Karotten
Auch unter den Karotten gibt es eine Sorte mit dem Namen »Ochsenherz« (oder Guérande). Es handelt sich dabei um eine Variante aus dem Jahr 1884, hellorange in der Farbe und etwas klobig in der Form. Der Geschmack ist intensiv, süß und aromatisch.

Unter den momentan stark nachgefragten vio­letten Karotten hat vor allem die »Syri­sche Violette« an Bedeutung gewonnen.

Violette Karottensorten sind nicht nur intensiver im Geschmack, sondern auch gesünder als ihre orangefarbenen Verwandten. Sie enthalten den Pflanzenfarbstoff Anthocyan, der auch in Melanzani, Ribiseln sowie in blauen Trauben vorkommt.

Bunte Mischung: So vielfältig können Melanzani sein / Foto beigestellt
Bunte Mischung: So vielfältig können Melanzani sein / Foto beigestellt

Melanzani
»Bioschanze« nennen Galina Hagn und Flo­­rian Kothny ihre Gärtnerei im 21. Wiener Bezirk. Auf den Feldern und in den Gewächshäusern wird streng nach biologischen Kriterien gearbeitet. Neben fast 30 verschiedenen Paradeisern haben die beiden Jungbauern heuer auch erstmals 20 unterschiedliche Melanzanisorten im Angebot, darunter Exoten wie »Green Tiger Stripe«, »Pandora Striped Rose« und »Thai Long Green«.

Die kleinen Melanzani »Green Tiger Stripe« waren im deutschsprachigen Raum lange Zeit völlig unbekannt, in südeuropäischen Ländern hingegen wurden sie bereits in den Küchen des 16. Jahrhunderts verwendet. Die grün-weiß gestreiften Minifrüchte mit rund fünf Zentimeter Durchmesser sind im Geschmack äußerst delikat.

Als beste Melanzanisorte der Welt gilt die »Thai Long Green«. Sie schmeckt mild und süß und ist dank ihrer schlanken Form und dem leuchtenden Limonengrün auch optisch sehr ansprechend. Wie kaum ein anderes Gemüse hat diese Melanzanisorte den Weg in die Küchen der besten Restaurants der Welt gefunden.

Manche Sorten haben auch etwas Kurioses: So wird etwa die Melanzanisorte
»Little Spooky« deshalb so genannt, weil sie durch ihre weiße Farbe und ihre Form tatsächlich wie ein Gespenst aussieht. Geschmacklich ist sie nur mäßig interessant, der Legende nach wird sie in den Gärten auch nur deshalb angepflanzt, um böse Geister zu vertreiben.

HINTERGRUND – Arche Noah: Freiheit für die Vielfalt

Text von Herbert Hacker
Aus Falstaff Nr. 05/2013

Herbert Hacker
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