Fellbach und Umgebung verfügen über einige der besten Lemberger-Lagen.

Fellbach und Umgebung verfügen über einige der besten Lemberger-Lagen.
© Matthias Aldinger

Alles auf Anfang: Lemberger aus Württemberg

Lemberger aus Württemberg war schon immer ein Geheimtipp für Kenner. Doch jetzt strebt die junge Generation danach, den Status des Underdogs zu verlassen. Und lässt keinen Stein auf
dem anderen, wenn es um Qualität geht.

Es ist spät geworden im »Gasthof Lamm« in Hebsack, und die Jungwinzer Aaron Schwegler, Moritz Haidle und Felix Ellwanger sind nach einer längeren Weinverkostung bei einem Gute-Nacht-Bier angekommen. Vielleicht liegt es an der einsetzenden Müdigkeit, dass sich die Gespräche der drei nun um Grundsätzliches zu drehen beginnen, vielleicht sind aber auch die vielen guten Weine der vorangegangenen Stunden schuld und haben das Grübler-Gen in den Winzern geweckt.

»Wir Württemberger haben es doch eigentlich gut«, resümiert mit dem 33-jährigen Ellwanger der Älteste der drei. »Wir haben eine treue Kundschaft vor Ort und müssen nicht wie die Moselwinzer durch die halbe Welt jetten, um unseren Wein zu verkaufen.« Auf den Gesichtern von Haidle und Schwegler zeichnet sich Nachdenklichkeit ab. Schwegler hat gerade zuvor erzählt, wie der Kleinbetrieb, den seine Eltern in den 1990er-Jahren aufgebaut hatten, unter seiner Leitung gewachsen ist – behutsam zwar, aber vielleicht werde das Weingut nach und nach noch etwas größer werden. Ein »Aber« steht im Raum, und Ellwanger nimmt es von sich aus auf: »Aber ob die Beschränkung auf den heimischen Markt auch in Zukunft noch ausreichen wird?«

Lemberger-Lagen in Fellbach und Umgebung.
© Matthias Aldinger
Lemberger-Lagen in Fellbach und Umgebung.

Ob es in Zukunft reicht, zu Hause als »hidden champion« zu gelten, aber überregional und international ein unbeschriebenes Blatt zu sein, das ist in diesen Tagen eines der wichtigsten Themen im Weinbau Württembergs. In einer Region, die einst als Trollinger-Republik verschrien war und sich dann als Land des Lembergers positionierte. Und jetzt?

Moritz Haidle ist schon einmal vorgeprescht und hat seinen Basis-Lemberger als »Blaufränkisch« etikettiert. Als gelegentlicher Freestyle-Rapper weiß der 28-Jährige sehr genau um Kraft und Wirkung von Worten, er sagt: »Blaufränkisch«, das heißt raus aus alten Sicherheiten und rein in einen mondänen Kontext. Auch wenn es sich nur um zwei verschiedene Namen für dieselbe Rebsorte handelt: Die Tragweite dieser Umbenennung ist so groß, dass Haidle noch zögert, die Bezeichnung Blaufränkisch auch bei seinen Großen Gewächsen zu verwenden. Ganz unabhängig davon, dass diese Weine mit ihrer vor Energie schier berstenden Frische so oder anders einen neuen Ton anschlagen.

Sprayer, Rapper und Winzer: Moritz Haidle hat Spass an Wörtern, so auch an der Bezeichnung »Blaufränkisch«.
Foto: beigestellt
Sprayer, Rapper und Winzer: Moritz Haidle hat Spass an Wörtern, so auch an der Bezeichnung »Blaufränkisch«.

Szenenwechsel. In der Küche von Burg Schaubeck sitzen Michael Graf Adelmann und sein Sohn Felix am Tresen bei einem Espresso und wälzen dasselbe Problem. »Machen wir nun Lemberger oder Blaufränkisch? Ich weiß auch nicht«, zuckt Felix Graf Adelmann mit den Schultern und blickt besorgt auf den Platzregen, der gerade vor dem Fenster niedergeht. »Bitte nicht hageln, wenn’s geht, das wäre nett!« Dann kehren die Gedanken des jungen Grafen an den Tisch zurück: »Studien zeigen, dass man zwanzig Prozent mehr Umsatz machen kann, wenn man den Namen Blaufränkisch verwendet. Und dann präsen­tieren einem manche als Rechtfertigung: Wir haben jetzt Blaufränkisch-Klone. Hallo? Blaufränkisch-Klone haben wir hier schon seit Langem, direkt aus Österreich.« Michael Graf Adelmann nickt dazu stumm und fügt an: »Wenn man wenigstens beide Bezeichnungen aufs Etikett schreiben dürfte. Aber das Weinrecht sagt: Entweder oder.«

Eine einfache Lösung für dieses Dilemma haben die Grafen – der eine erfahren und mit der inneren Ruhe des Rentenalters, der andere jung und hungrig – beide nicht. Auch wenn Felix Graf Adelmann an anderer Stelle durchaus zu erkennen gibt, dass ihm die Verlockung des Mondänen nicht fremd ist: Denn er hat im Riesling-seligen Kleinbottwar tatsächlich Grünen Veltliner gepflanzt, »fast einen ganzen Hektar«. Kein völliger Bruch mit der Tradition zwar – denn Archivalien belegen, dass der Grüne Veltliner Ende des 18. Jahrhunderts schon einmal um Burg Schaubeck wuchs.

Weingut St. Antony: Auch am roten Hang in Rheinhessen wächst jetzt Blaufränkisch.
Foto: beigestellt
Weingut St. Antony: Auch am roten Hang in Rheinhessen wächst jetzt Blaufränkisch.

Ein »X« mit Bedeutung

Eine andere Bezeichnungsfrage als diejenige um »Lemberger« und »Blaufränkisch« treibt in Heilbronn die Winzer um. In der Falstaff-Blindprobe landete auch ein Wein ganz vorne, der mit einem kryptischen »X« bezeichnet ist: »Lemberger X«. Um Aufschluss darüber zu bekommen, was es damit auf sich hat, muss man an den Stadtrand von Heilbronn fahren, ins Weingut G. A. Heinrich, dessen Gebäude den Übergang von der Siedlung zum Weinberg bilden. Auch hier stehen zwei Generationen am Verkostungstresen: Vater Martin Heinrich und die beiden Söhne Björn und Tobias. »Das X ist ein Platzhalter für eine Lage, die wir nicht aufs Etikett schreiben dürfen«, erklärt der 35-jährige Tobias Heinrich, der sich im Familienteam um Weinberg und Keller kümmert. »Der Wein stammt aus dem Gewann Löwenherz, das offiziell ein Teil der Lage ...«, sein Sprechfluss verzögert sich, »... Wartberg ist.« – »Oder Stiftsberg?«, fällt ihm sein älterer Bruder ins Wort, der die kommerziellen Belange des Weinguts verwaltet.

Einen Moment herrscht Ratlosigkeit im Familienrat – was nicht erstaunen kann, wenn man weiß, in welch bizarrem Zickzack die Grenze zwischen Heilbronns beiden wichtigsten Lagen verläuft. Selbst am geografischen Wartberg gehören manche Lagen weinrechtlich zur Lage Stiftsberg, und die besten Stiftsberg-Parzellen wiederum liegen geografisch weder am Stiftsberg noch am Wartberg.

Blitzblank und modern: Keller der Lauffener Weingärtner.
Foto: beigestellt
Blitzblank und modern: Keller der Lauffener Weingärtner.

Bei solch einem Durcheinander ist der Name eines Gewanns, also eine viel präzisere Bezeichnung, nicht zulässig auf dem Etikett? »Es ist noch viel schlimmer«, antwortet Martin Heinrich: »Jahr für Jahr werden dreißig Millionen Flaschen unter dem Namen Heilbronn verkauft, aber nur ein Sechstel davon wächst wirklich hier. Der Rest nützt die Großlagen-Bezeichnung ›Heilbronner Staufenberg‹. Damit können wir uns nicht identifizieren.«

Der Amtsschimmel hält die Winzerfamilie indes nicht davon ab, ihre Weine so zu machen, wie sie es für gut hält. Der »Lemberger X« aus dem Jahrgang 2011 lag zwei Jahre ungeschwefelt im Barrique auf der Hefe, danach kam er ins große Stückfass, wurde geschwefelt und schließlich nach zwei weiteren Jahren Reife abgefüllt. Erst jetzt, nach insgesamt fünf Jahren, gelangt er in den Verkauf. »So einen Wein habe ich schon mal im Jahrgang 2003 gekeltert«, erzählt Martin Heinrich, »damals waren die Jungs noch nicht mit dabei. Der lag damals sogar dreieinhalb Jahre ohne Schwefel auf der Hefe.«

Es ist solcher Tüftlergeist, der Württembergs Lemberger-Künsten Vorsprung gibt – und die Verfolger aus Baden und Franken, aus Rheinhessen und der Pfalz auf Distanz hält. »Die Mutigen von heute werden die Norm von morgen bestimmen«, sagt Martin Heinrich und lässt in der Erinnerung die Tage wieder auferstehen, als er 1972 aus der Genossenschaft ausgetreten ist und seinen Betrieb gegründet hat. »Wir hatten ein Schild vor der Tür: Weinverkauf ab 17.30 Uhr, Samstag ab 9 Uhr.« Aus den damaligen drei Hektar wurden in fast 45 Jahren dreizehn Hektar.

Dramatische Abendstimmung in der Umgebung Stuttgarts (Uhlbach-Rotenberg).
Foto: beigestellt
Dramatische Abendstimmung in der Umgebung Stuttgarts (Uhlbach-Rotenberg).

Die von Heinrich angesprochenen Genossenschaften – »Weingärtnergenossenschaften« heißen sie hier – dominieren auch heute noch den Weinbau Württembergs: Sie produzieren zwei von drei Flaschen Württemberger Weins. Die 1970er-Jahre, in denen Heinrich die Genossenschaft verließ, waren eigentlich das goldene Jahrzehnt der Kooperativen, denn die Geschäfte liefen trotz einer Vielzahl schwieriger Jahrgänge hervorragend. Später liefen die Geschäfte immer noch ordentlich, doch lange galten die WGs als notorische Bremser bei der qualitativen Innovation des Württemberger Weins.

Dass sich das gewandelt hat, belegte die Falstaff-Blindprobe ­eindrücklich: Mit den Genossenschaften aus Bad Cannstatt (Weinfactum), aus Rotenberg und Uhlbach (Collegium Wirtemberg) sowie den Lauffener Weingärtnern konnten sich gleich drei Betriebe in der »Best of«-Auswahl der besten neun Weine platzieren. Dass die Genossen ihr Lagenpotenzial heute so konsequent nützen wie vielleicht noch nie zuvor, verleiht dem Württemberger Weinschaffen eine Dynamik mit Breitenwirkung. Und das unabhängig davon, ob am Ende »Lemberger« oder »Blaufränkische« auf der Preisliste stehen.

Aus Falstaff Magazin Deutschland Nr.06/2016

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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