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Ahr: Winzer hoffen, vor Ort keltern zu können

Wenige Tage vor Beginn der Lese haben viele der flutgeschädigten Betriebe eine eigene Kellertechnik improvisiert. Wir haben mit einigen Winzern gesprochen.

»Wir sind parat«,

sagt Britta Stodden zwei Monate nach der verherenden Flut-Katastrophe. »Morgen, am Donnerstag, fällt mit dem Frühburgunder der Startschuss zur Lese«. Noch vor wenigen Wochen war es im namhaften Weingut aus Rech ungewiss, ob die Lese vor Ort würde verarbeitet werden können, als Ausweichquartier stand der Keller von Carolin und H. O. Spanier in Bodenheim in Rheinhessen zur Verfügung.

Das Keltern, so Stodden weiter, werde in diesem eigentümlichen, improvisierten Herbst ganz anders verlaufen als sonst. Wegen des enormen Staubs, der noch immer im Ahrtal herrscht, werden die Trauben nicht wie in anderen Jahren im Freien entrappt und gemaischt. »Wir werden alles drin im Kelterhaus machen, und vor die Traubenannahme stellen wir eine Beregnungsanlage, die den Staub bindet, das hat uns ein Freund organisiert, der in der Wassertechnik arbeitet.« Sortiermaschine und Entrapper wurden durch den Einsatz zweier Privatleute wieder zum Laufen gebracht. »Bei der Presse war uns das aus hygienischen Gründen zu heiß, da haben wir jetzt ein Leihgerät von der Firma Scharfenberger.«

Endlich wieder Trinkwasser

Auch bei Meike und Dörte Näkel in Dernau, die in der Flut buchstäblich alles verloren haben, Tanks und Fässer, Maschinen und Fahrzeuge, bis auf acht gerettete Barriques den gesamten 2020er Jahrgang, werden die Trauben vor Ort gekeltert werden. »Wir sind an neue Trinkwasserleitungen angeschlossen«, berichtet Meike Näkel, »die letzten Wochen gab es ja nur so genanntes Brauchwasser, damit zu keltern wäre unmöglich gewesen. Vom alten Kelterhaus stehen fast nur noch die Stahlträger, aber es wird funktionieren, die wichtigsten Utensilien zum Weinmachen sind alle wieder da, geliehen oder neu gekauft«, sagt Näkel, die sich allerdings angesichts des weiterhin wechselhaften Wetters um den Gesundheitszustand der Trauben sorgt.

»Es wird ein immenser Aufwand bei der Traubenselektion. Aber letztlich kann uns das jetzt auch nicht mehr schockieren.«

Keller sandgestrahlt

Marc Adeneuer vom Weingut J. J. Adeneuer aus Ahrweiler berichtet ebenfalls davon, dass er im eigenen Betrieb keltern werde. »Wir haben zwar noch keine Fässer, aber eine neue Kelter haben wir letzte Woche bekommen, Pumpen und Schläuche sind auch da, und der Keller ist – was zum Glück noch letzte Woche fertig wurde – sandgestrahlt, um auch das Kellerklima wieder sauber zu bekommen. Es sieht jetzt wirklich so aus, als seien wir in der Lage, neben dem ganzen Chaos her Wein zu machen.«

Der Frühburgunder sei sogar schon eingebracht, so Adeneuer weiter, mit einem Mini-Ertrag von 15 Litern pro Ar. »Jetzt am Samstag kommt der Spätburgunder aus der Gärkammer dran«, also Adeneuers Filetstück im Walporzheimer Kräuterberg. »Wir haben schon Angst vor der Peronospora«. Schließlich blieben die Reben unmittelbar nach der Flut zwei Wochen lang ohne Pflanzenschutz – in einer Phase hoher Feuchtigkeit, was dem Wachstum von Pilzkrankheiten wie dem falschen Mehltau sehr förderlich war.

Doch die Prioritäten der Betriebe liegen dieses Jahr naturgemäß anders als vor der Flut, noch immer herrscht ein kompletter Ausnahmezustand im Ahrtal. »Unser ganzes Leben ist weggeschwommen«, bringt es Meike Näkel auf den Punkt.

»Und dabei geht’s uns noch gut, denn jeder kennt jemanden, der im Wasser gestorben ist. Wer überlebt hat, ist am 15. Juli aus dem Wasser gestiegen und hat angefangen aufzuräumen. Und genau das tun wir im Moment immer noch.«

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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