400 Jahre »Zum Schwarzen Kameel«
Beglückt mit einem Schinkenbrötchen: Dass Generationendenken in diesem Wiener Traditionshaus so gut funktioniert, ist nicht zuletzt dem Opernball zu verdanken.
Der Opernball ist schuld daran, dass Peter Friese als Kind glaubte, seine Familie sei furchtbar reich. Seine Eltern hatten das »Schwarze Kameel« in der Wiener Bognergasse 1956 übernommen, eine Weinstube mit schon damals fast 350-jähriger Geschichte. Sie bauten es vorsichtig ein wenig um, änderten das Angebot und bekamen den Zuschlag für den Heurigen am Opernball. Die ganze Nacht verkauften sie hier Würstel und Gulasch, Spritzer und Bier an die vom Tanzen hungrigen und durstigen Gäste. Wenn am nächsten Tag bei Frieses zu Hause abgerechnet wurde, stapelten sich die Schillingnoten und Münzen hoch auf dem Tisch. Sohn Peter war entzückt – und bekam einen falschen Eindruck von den Familienfinanzen.
Vielleicht hat er auch deshalb gegen den Widerstand seiner Eltern das »Kameel« übernommen. »Mein Vater wollte immer, dass ich gut in der Schule bin und etwas Anständiges lerne, um in den Öffentlichen Dienst zu kommen«, sagt Friese. Trotzdem ging Friese statt zu lernen nach der Schule zum Tellerwaschen ins Lokal. Vater Friese mag nicht glücklich damit gewesen sein – für viele andere Menschen aber war das ein Glücksfall.
Genussdemokratie
»Das ›Schwarze Kameel‹ ist ein Weltklasselokal, auf einer Stufe mit der ›Kronenhalle‹ in Zürich, ›Peck‹ in Mailand oder ›Colombe d’Or‹ an der Côte d’Azur«, sagt etwa Christian Seiler, Autor und Kulinarikjournalist, der gerade an einem Buch über das »Kameel« arbeitet. Anfang 2018, rechtzeitig zum 400-jährigen Jubiläum des Lokals, soll es erscheinen. Was er am »Kameel« so schätzt? »Die Atmosphäre«, sagt Seiler. »Am Nachmittag ist es Treffpunkt der gehobenen Wiener Gesellschaft, aber am Vormittag kommen die Straßenkehrer, die sich hier einen Spritzer und ein Brötchen holen. Ich liebe diesen demokratischen Grundkonsens. Du kannst im Restaurant leicht 250 Euro ausgeben. Aber du kannst auch in der Bar ein Schinkenbrötchen essen, ein Glas Veltliner trinken, fünf Euro zahlen, und diesen Raum genauso genießen.«
Peter Friese selbst nennt das »Kameel« daher gern »das demokratischste aller Lokale«. Er ist stolz darauf, dass laut den alten Gästebüchern bereits in der Monarchie sowohl die Adeligen als auch Victor Adler hier verkehrten. »Arbeiter, Prinzessin, Verkäuferin, es müssen alle nebeneinanderstehen können«, sagt er. Wenn seine Mitarbeiter ihn abends anrufen und fragen, ob er die Umsätze wissen will, dann antwortet er: »Nein, aber wie war die Stimmung?«
Kulinarische Verlässlichkeit
Gegründet wurde das »Kameel« 1618 als Gewürzkrämerei von Johann Baptist Cameel, dem es bis heute den vermeintlichen Rechtschreibfehler in seinem Namen verdankt. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es um eine Delikatessenhandlung und Weinstube erweitert und soll vor allem als Frühstückslokal beliebt gewesen sein. Zahlreiche berühmte Gäste verkehrten hier, von Beethoven ist im »Kameel«-Archiv eine handgeschriebene Bestellung für »zypriotischen Wein und Magenbitter« erhalten. 1901 wurde das ursprüngliche Haus in der Bognergasse dann niedergerissen und in seiner heutigen Form wiederaufgebaut. Das Jugendstil-Interieur des »Kameels« stammt aus dieser Zeit.
Als Frieses Eltern die Weinstube in den 1950er-Jahren übernahmen, übermalten sie das heute berühmte türkise Schiffsrelief: »Damals sagten die Leute: Wir wollen ja nicht im Badezimmer essen«, sagt Friese. Er ist heute heilfroh, dass sie es nicht herausgerissen haben. Daneben aber führten sie auch zwei Neuerungen ein, die sich als äußerst zukunftstauglich erweisen sollten: die Stehtische und die Brötchen.
»Das ›Schwarze Kameel‹ ist ein Weltklasselokal, auf einer Stufe mit der ›Kronenhalle‹ in Zürich, ›Peck‹ in Mailand oder ›Colombe d’Or‹ an der Côte d’Azur«
Christian Seiler Autor und Kulinarikjournalist
Genussalternative Am Ball
»Das war ein ganz wichtiger Schritt, dass Gastronomie auch im Stehen stattfinden kann«, so Autor Seiler. »Die Frieses haben schnell begriffen, dass es kleine Snacks zum Trinken braucht, wie in einer venezianischen Weinstube.« Frieses Mutter kreierte die legendären Brötchen mit verschiedenen Aufstrichen und Belägen – bis heute sind einige ihrer Rezepte im Einsatz. »Die Großartigkeit des ›Kameels‹ kommt auch daher, dass es ein evolutionär verändertes Lokal ist«, sagt Seiler. Es ist seit über 100 Jahren nicht niedergerissen, sondern nur mit ein paar Handgriffen verändert und in seine Zeit gehoben worden – oder ihr sogar voraus.«
Brötchen, etwa die mit Beinschinken, wird es natürlich auch am Opernball geben, neben Gulasch, Würstel und Bier. Auf Ausgefalleneres oder gar Nobles verzichtet Friese dort. »Oben in der Loge trinken die Gäste Champagner«, sagt Friese, »aber wenn sie zu uns in den Heurigen kommen, wollen sie Normalität, ein Achtel Grünen Veltliner und ein kleines Bier. Wer oft Hummer und Kaviar isst, der ist ganz beglückt mit einem Schinkenbrötchen.«