160 Jahre Campari – Falstaff wirft einen Blick zurück.

160 Jahre Campari – Falstaff wirft einen Blick zurück.
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160 Jahre Campari: Die Erfinder des Dolce Vita

Vom Likör aus dem Hinterzimmer zur Ikone italienischer Lebensart: Campari feiert 160. Geburtstag – und die Mailänder bleiben auch beim Feiern dem Geist der Gründer treu.

Als Botschafter der italienischen Lebensfreude kennt man Campari weltweit, doch auch das Unternehmen selbst hat aufgrund der langen Tradition viel Grund zu feiern. Nach dem 100. Jahrestag der Kreation des berühmten Cocktail-Dreiteilers »Negroni« im Vorjahr und der 150. Wiederkehr des Geburtstags von Gründer-Sohn Davide Campari (2017) steht heuer jenes Rezept im Mittelpunkt eines Jubiläums, mit dem alles begann. Vor 160 Jahren wurde der erste Likör unter dem Namen Campari gefüllt. Die Geschichte der Marke, die so untrennbar mit Mailand verbunden ist, beginnt aber in Novara.

Hier ist Gaspare Campari zehn Jahre als Pächter des zentralen »Caffè dell’Amicizia« tätig. Wie viele Zeitgenossen stellt auch er seine eigenen Liköre her. Kräuter und Früchte, die ihr Aroma in Wasser oder Alkohol abgeben, werden dafür kombiniert. Die genaue Zusammensetzung bleibt damals wie heute vor der Kundschaft verborgen. Die erste bekannte Kreation trägt 1860 aber bereits die charakteristische rote Farbe im Namen: »Rosa Campari«. Doch die frischvermählten Gaspare und Letizia planen Größeres und ziehen kurz darauf nach Mailand. Und so wird die lombardische Hauptstadt zum Geburtsort eines Welterfolgs. 

Die Lehrjahre allerdings erlebte Campari, 1828 als zehntes Kind einer Bauernfamilie in Cassolnovo bei Pavia geboren, in Turin. Die Hauptstadt der Savoyer-Könige war eine florierende Spirituosen-Stadt, die vor allem für die Wermut-Produktion stand. Man kann einen der berühmtesten Campari-Drinks, den »Milano-Torino«, also auch als Symbol der Vorgeschichte zum roten Likör-Geniestreich sehen.

Die bekanntesten Produkte der beiden Städte – Campari und Wermut – verbinden sich in diesem Vorfahren des »Negroni«. Gaspare Camparis Rezeptur wird in Mailand weiterentwickelt. Erst in einem kleinen Shop beim Dom, der aber bald der Platzgestaltung weichen muss: Italien wurde von Garibaldi – Namenspate eines weiteren Campari-Cocktails – vereint, und der Patriotismus will dem neuen König Viktor Emanuel II. ein Denkmal setzen. Für den Likör-Pionier erweist sich diese Stadtplanung als Glücksfall: Er wird für die Manufaktur entschädigt und erhält einen Platz direkt am Eingang der neuen Galleria Vittorio Emanuele II. Erneut vermischen sich Stadtgeschichte und Camparis Firmenhistorie: Denn Sohn Davide Campari kommt 1867 als erster Mailänder in der neuen Passage zur Welt.

Es ist ein entscheidendes Jahr, denn auch die eigene Tagesbar, das »Caffè Campari«, wird zeitgleich eröffnet. Hier serviert die Familie ihre Eigenkreationen, die eine neue Mode kreieren: Nicht als Digestif, sondern vor der Mahlzeit wird der »Bitter Campari« konsumiert – für Kräuterliköre eine bis dahin unkonventionelle Verwendung. Und es etabliert sich schnell eine Fangemeinde, der später Gaspares Söhne Guido und vor allem Davide Campari maßgeschneiderte Drinks reichen.

Denn der Gründer wird nur 54 Jahre alt. Ab 1882 führt Letizia Campari die Firma weiter, bis Davide zum wichtigsten Fortführer des väterlichen Erbes unter den insgesamt fünf Kindern wird. Er erkennt die Genialität des damals noch mit Schildläusen (»Cochenille-Rot«) gefärbten Rezepts und lässt dafür die weiteren Produkte auf. Häme und ein massiver Umsatzeinbruch folgen, doch die fokussierte Geschäftsstrategie geht auf. Vor allem, da sich auch die Werbemittel um 1900 auf die Cashcow des Unternehmens konzentrieren. Die wichtigsten Plakatkünstler machen den Aperitivo, damals noch unter dem Namen »Bitter Campari«, bekannt. 

Moderne Werbeformen, unter anderem mit der Miss Vienna 1930, Lisl Amon, als Testimonial sind eine Spezialität der Marke. »Lieber heute einen Campari als das Glück erst morgen«, lautet der Spruch der feschen Wienerin. Der Vertrieb, ein weiteres Steckenpferd Davide Camparis, trägt ebenfalls zur Verbreitung des Likörs bei: Büros in Übersee, etwa in Argentinien, und eine neue Produktionsstätte in Sesto San Giovanni sorgen für globale Nachfrage und deren Befriedigung. 

Vor allem aber etabliert sich eine eigenständige Cocktail-Kultur um den roten Aperitif. Denn egal, ob mit Sodawasser verlängert oder im kräftig-süßen Mix mit Wermut – die Ausgewogenheit des Mailänder Spirituosen-Aushängeschilds passt immer. Ob man dann entweder mit Gin (»Negroni«) oder Whiskey (»Boulevardier«) für noch mehr Stärke sorgt, ist Geschmackssache. Im Süden sind vor allem die leichtfüßigen Varianten beliebt, für die Visionär Davide Campari im »Camparino« eigens eine gekühlte Soda-Leitung einbauen lässt. Der mondäne »Negroni Sbagliato« mit Schaumwein wird erst in den 1960er-Jahren erfunden, doch in den Werbungen ist fast immer die Siphon-Flasche mit Soda zu sehen, die etwa auch dem »Americano« jene Frische gibt, die man zur Blauen Stunde ersehnt.

»Lieber heute einen Campari als das Glück erst morgen.«

Knapp vor seinem Tod im Jahr 1936 gelingt Davide Campari dann ein weiterer Geniestreich: Der beliebteste Aperitif wird fertig gemischt im Automaten verkauft. »Monodose« heißen diese knapp unter 0,1 Liter fassenden Fläschchen mit »Campari-Soda«, von denen heute allein in Italien 22,4 Millionen Stück verkauft werden. Sie passten perfekt in das Zeitalter des Futurismus.

Modern sein hieß schnell genießen. Die »behäbige« Pasta etwa war ein Feindbild von Filippo Tommaso Marinetti und seinen Künstlerfreunden; Sportwägen und Flugzeuge verehrten sie hingegen. Dieser Geist prägte auch den fliegenden Maler Fortunato Depero, der ikonisch gewordene Werbesujets für die »Fratelli Campari successori« entwarf. Er setzte damals in den Roaring Twenties die Linie seines Kollegen Leonetto Cappiello fort, der den berühmten »Spiritello« als Sinnbild des Aperitivos schuf: ein stilisiertes Männchen, das mit einer Orangenzeste tanzt. 

Wie die Rezeptur des Likörs, der heute in 190 Länder exportiert wird, überdauerten auch die künstlerischen Campari-Interpretationen die Zeit. In der limitierten Campari-Serie mit Künstlerlabel tauchten Entwürfe Fortunato Deperos zuletzt 2015 auf, aktuell sind die Sujets auch in der Wiener »Bar Campari« (1. Stock) zu bewundern. Und natürlich an jenem Ort, wo alles begann, in Mailand, in der Galleria Campari, die die enge Verzahnung von italienischer Geschichte, Kunst und Spirituosenkultur zeigt. Denn längst ist die »Davide Campari-Milano S. p. A.« an der Bar nicht nur mit der geheimen Rezeptur Gaspare Camparis vertreten. Als sechstgrößter globaler Spirituosen-Erzeuger gehören neben den Italo-Klassikern Aperol, Cinzano, Cynar und Frangelico der französische Orangen-likör Grand Marnier sowie Wild-Turkey-Bourbon und Appleton-Rum zur Gruppe. Doch das Herzstück wird immer der rote Bitter aus Milano bleiben.

Buon compleanno, Campari!

Erschienen im Falstaff Campari Booklet 2020.

Roland Graf
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