© Michael Poehn

150 Jahre Wiener Staatsoper

600.000 Besucher pro Jahr machen die Wiener Staatsoper, 1869 eröffnet, zu einem der weltweit bedeutendsten Kulturbetriebe. Happy Birthday, altes Haus!

Oper in Wien – das war Chefsache. Kaiser Leopold I., für dessen Hochzeitsfeierlichkeiten man das erste Wiener Opernhaus mitten im Komplex der kaiserlichen Burg errichtete, war selbst Komponist! Sein Urenkel, Joseph II., war immerhin noch sein eigener Intendant und aus dem Grund imstande, mit den von ihm engagierten Künstlern zu fachsimpeln.
»Gewaltig viel Noten«, befand er nach der Uraufführung der »Entführung aus dem Serail«. Komponist Mozart entgegnete selbstbewusst: »Grad so viel Noten, Eure Majestät, als nötig sind.« Da gingen die Theaterleute schon einer Zeit der bürgerlichen Landnahme entgegen. Das kaiserliche Fußvolk hatte schon seinen Platz in den Opernhäusern, im alten Burgtheater (am Michaelerplatz), im Kärntnertortheater (wo heute das Hotel Sacher steht), im Theater an der Wien.
Erst recht ab 1869 im eleganten neuen Opernhaus an der Ringstraße. Die Architekten August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, von den Kommentatoren giftig angefeindet, erlebten dessen Einweihung mit Mozarts »Don Giovanni« (damals noch: »Don Juan«) nicht. Sicardsburg starb 1868, van der Nüll beging im selben Jahr Selbstmord.
Die Wiener aber gewannen ihre Hofoper, die sie gerade noch als »Königgrätz der Baukunst« diffamiert hatten, rasch lieb. Wohl auch dank der liebevollen künstlerischen Ausgestaltung des Hauses. Moritz von Schwind ist zu verdanken, dass Mozart als »Genius« omnipräsent scheint. Seine »Zauberflöte« beherrscht die Optik des Operngebäudes – im 2018 frisch renovierten Schwindfoyer ebenso wie im Gustav Mahler-Saal, dessen Gobelins ebenfalls Szenen aus dieser meistgespielten aller Opern zeigen.

Letztere stammen freilich aus der Zeit nach der Wiedererrichtung des Gebäudes, das beim großen Bombenangriff vom 12. März 1945 ein Raub der Flammen geworden war. Nur der Eingangsbereich blieb erhalten – der prachtvolle Teesalon hinter der ehemaligen kaiserlichen Hofloge gottlob inbegriffen. Zuschauerraum, Bühne und seitliche Pausenräume wurden unter der Führung Erich
Boltensterns 1955 neu gestaltet.
Apropos Gustav Mahler-Saal: Der große Symphoniker war in seiner Eigenschaft als Dirigent und Manager von 1897 bis 1907 der wohl bedeutendste Operndirektor, den Wien je gehabt hat. Kunst statt Repräsentation lautete seine Parole, der Zuschauerraum wurde während der Aufführungen verdunkelt, der notorische Schlendrian bei Sängern und Musikern unterbunden: »Was ihr eure Tradition nennt, ist Schlamperei«, erklärte Mahler.
Auch in der Folge führten bedeutende Künstler das Regiment: Richard Strauss war der erste Intendant der jungen Repu-blik Österreich, Neujahrskonzert-Gründer Clemens Krauss war Direktor ebenso wie Karl Böhm.
Dass Böhm nicht nur der letzte Direktor des Hauses im Dritten Reich war, sondern auch der erste nach der Eröffnung 1955, hat später für Kopfschütteln gesorgt. Doch war er einer der führenden Maestri seiner Zeit; und die Anknüpfung an die große künstlerische Tradition des Hauses – die bemerkenswerterweise auch zwischen 1938 und 1944 trotz aller grausamen Begleitumstände über weite Strecken aufrechterhalten werden konnte – war der österreichischen Kulturpolitik der Aufbaugeneration wichtiger als die Aufarbeitung der Zeitgeschichte.

Mit Herbert von Karajan sorgte ab den späten Fünfzigerjahren ein weiterer weltberühmter Österreicher, der während der NS-Diktatur in Deutschland Karriere gemacht hatte, für einen Innovationsschub: Unter Karajans Leitung wurden Opern in der Originalsprache gesungen und das internationale Star-Karussell begann sich zu drehen. Das legendäre »Wiener Ensemble« hatte ausgedient. Es hatte von 1945 an im »Ausgedinge«, dem Theater an der Wien, für eine Glanzzeit gesorgt, weil es den bedeutenden versammelten Sängern kaum möglich war, zu reisen und international aktiv zu werden. Nun war die Zeit des Jetsets angebrochen. Die Oper musste darauf reagieren.
Unter der Führung des bisher letzten dirigierenden Direktors, Lorin Maazel, endete auch die Tradition der täglich wechselnden Vorstellungen in immer neuen Besetzungen. Ab sofort spielte man in kleinen Serien, innerhalb derer zwecks Optimierung der Probenzeiten und der Qualität die Sängerbesetzung nicht mehr wechseln sollte.
Maazel wurde – wie zuvor schon Karl Böhm und manch anderer Wiener Opernchef – Opfer einer Intrige und ging nach zwei Spielzeiten ab. Ihm folgten Claudio Abbado, Musikchef an der Seite von Direktor Claus Helmut Drese, und Ioan Holender, der zum längst dienenden Wiener Opernchef aller Zeiten werden sollte. Er war als Generalsekretär des Sänger-Intendanten Eberhard Waechter ins Haus gekommen. Waechter träumte von der Wiederbelebung des Ensemble-Gedankens, starb jedoch nach wenigen Monaten im Amt; Holender übernahm – und etablierte ein Misch-System aus Langzeit- und Gastverträgen, wobei ein reichhaltiger Spielplan nach dem von Maazel initiierten System in Serien gegliedert wurde.
Auch der derzeitige Direktor, Dominique Meyer, der die Staatsoper 2010 übernahm, bietet mit über 50 verschiedenen Titeln pro Saison den komplettesten Spielplan der Welt und holt dafür alle bedeutenden Sänger ans Haus. Die Wiener Oper ist und bleibt somit auch Magnet für das Publikum, das dem Haus 150 Jahre nach seiner Eröffnung eine Auslastung von nahezu 100 Prozent beschert.


© echomedia buchverlag
Jubiläums-Ausgabe

Anlässlich des 150. Geburtstags wirft Autorin Michaela Schlögl einen Blick hinter die Kulissen. Auf mehr als 300 Seiten erfahren Sie alles über die Geschichte des Hauses, die wichtigsten Künstler etc.
Die Wiener Staatsoper – wie sie war, wie sie ist: Michaela Schlögl und Claudia Prieler, 317 Seiten, echomedia buchverlag, € 39,90.


Große Auftritte

Meilensteine in der Geschichte der Wiener Staatsoper:

  • Juni 1875: Giuseppe Verdi dirigiert sein »Requiem« und »Aida«
  • Februar 1892: Uraufführung Jules Massenets »Werther« (in deutscher Sprache!)
  • Oktober 1919: Uraufführung »Die Frau ohne Schatten« von Richard Strauss
  • Juni 1956: Maria Callas: einziges Gastspiel »Lucia di Lammermoor« unter Karajan
  • März 1966: Debüt Leonard Bernsteins (»Falstaff«)
  • Mai 1977: Wiederkehr Herbert v. Karajans nach 13 Jahren Abwesenheit
  • April 2003: Debüt Anna Netrebko (»La Traviata«)
  • Juni 2017: Plácido Domingo 50 Jahre in Wien (Posa in »Don Carlo«)

Macht am Ring: Alle Staatsopern-Direktoren auf einen Blick

  • Franz von Dingelstedt (1.7.1867 –19.12.1870)
  • Johann von Herbeck (20.12.1870 – 30.4.1875)
  • Franz von Jauner (1.5.1875 – 19.6.1880)
  • Karl Mayerhofer, Gustav Walter und Emil Scaria, als Regiekollegium (20.6.1880 – 31.12.1880)
  • Wilhelm Jahn (1.1.1881 – 14.10.1897)
  • Gustav Mahler (15.10.1897 – 31.12.1907)
  • Felix von Weingartner (1. Amtszeit, 1.1.1908 – 28.2.1911)
  • Hans Gregor (1.3.1911 – 14.11.1918)
  • Franz Schalk (15.11.1918 – 31.10.1924; ab 16.8.1919 gemeinsam mit Richard Strauss)
  • Richard Strauss (16.8.1919 – 31.10.1924)
  • Franz Schalk (1.11.1924 – 31.8.1929)
  • Clemens Krauss (1.9.1929 – 15.12.1934)
  • Felix von Weingartner (2. Amtszeit, 1.1.1935 – 31.8.1936)
  • Erwin Kerber (1.9.1936 – 31.8.1940)
  • Heinrich Karl Strohm (1.9.1940 – 31.1.1941)
  • Walter Thomas (1.2.1941 – 19.4.1941)
  • Ernst August Schneider (20.4.1941 – 28.2.1943)
  • Lothar Müthel (1.9.1941 – 31.12.1942)
  • Karl Böhm (1. Amtszeit, 1.1.1943 – 30.6.1945)
  • Franz Salmhofer (1.7.1945 – 31.8.1954)
  • Karl Böhm (2. Amtszeit, 1.9.1954 – 31.8.1956)
  • Herbert von Karajan (1.9.1956 – 31.8.1964)
  • Egon Hilbert (1.9.1964 – 18.1.1968)
  • Heinrich Reif-Gintl (19.1.1968 – 31.8.1972)
  • Rudolf Gamsjäger (1.9.1972 – 31.8.1976)
  • Egon Seefehlner (1. Amtszeit, 1.9.1976 – 31.8.1982)
  • Lorin Maazel (1.9.1982 – 31.8.1984)
  • Egon Seefehlner (2. Amtszeit, 1.9.1984 – 31.8.1986)
  • Claus Helmut Drese (1.9.1986 – 31.8.1991)
  • Eberhard Waechter und Ioan Holender (1.9.1991 – 29.3.1992)
  • Ioan Holender (1.4.1992 – 31.8.2010)
  • Dominique Meyer (seit 1.9.2010)
  • Bogdan Roščić (ab 1. 9. 2020)

Erschienen in
Opernball Spezial 2019

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Wilhelm Sinkovicz
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