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Wohnen in Zeiten von Corona: Der lange weg zur neuen Normalität

Innerhalb von zwölf Monaten haben sich nach einer ersten Schockstarre die Ansprüche an die eigenen vier Wände verändert. Neue Tendenzen wurden sichtbarer, bekannte Entwicklungen erhielten mehr Dynamik. Zu Ende ist diese Veränderung des Wohnraums sicher noch nicht.

22.04.2021 - By Walter Senk

Im März letzten Jahres wurden die Menschen vom Lockdown überrascht. Sie ­waren der Meinung, man werde einige Wochen zu Hause bleiben müssen. Aus ­ein paar Wochen ist mittlerweile – mit Unterbrechungen – ein ganzes Jahr geworden. 

Die Verlagerung zahlreicher Aktivitäten des täglichen Lebens in die Wohnung ist teilweise den Lockdowns geschuldet, liegt aber auch im Rahmen eines langfristigen Trends, der sich bereits seit Jahrzehnten beobachten lässt. Er wird mit Begriffen wie »Cocooning«, »Homing« oder »Hygge« umschrieben. 

Nachhaltiger Einfluss

»Die Bedürfnisse und Lebensumstände sind einem ständigen Wandel unterworfen«, so Nina Milchrahm, Leiterin Wohnimmobilien bei Colliers International. Dieser wurde durch Corona verstärkt und durch weitere Assets, die den Menschen beim Wohnen wichtig geworden sind, ergänzt. »Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Lockdown nachhaltigen Einfluss auf die Wünsche von Kunden an Wohnraum hat«, so Sascha Haimovici, Geschäftsführer von IVV Immobilien, »nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Eigenschaften der Wohnimmobilie selbst, sondern auch an deren Lage und folglich an das Umfeld.« Also den Ort, wo man die letzten zwölf Monate zu einem Gutteil verbracht hat. Nina Milchrahm: »Durch die Corona-Krise und die nunmehr seit beinahe einem Jahr andauernden Lockdowns spielen sich das Leben und der Alltag mit Homeoffice und strengen Ausgangsbeschränkungen mehr denn je im kleinen, privaten Umfeld und zu Hause ab.«

Um die Veränderung seit März 2020 zu il­lustrieren, führt Peter Weinberger, Geschäftsführer Raiffeisen Immobilien NÖ, zwei Umfragen an, die Raiffeisen im April und im November durchgeführt hat. Bereits bei der ersten Befragungswelle im April 2020 überlegten 33 Prozent der Städter, die das Landleben in der Krise für vorteilhafter hielten, aufs Land zu ziehen, 9 Prozent hatten bereits ganz konkrete Pläne dafür. »Der neuerliche Lockdown im Herbst hat die Absicht, der Stadt den Rücken zu kehren, verstärkt«, so Weinberger, »41 Prozent spielen aktuell mit diesem Gedanken, 12 Prozent haben bereits konkrete Übersiedelungspläne.« Gefragt ist Wohnen im Grünen. In der Stadt stehen Immobilien-Features wie Gärten, Balkone oder Terrassen mehr denn je im Fokus der Suchenden. 

»Der Wunsch nach einer bewussten Lebensweise nimmt Nachhaltigkeit, Flexibilität und Leistbarkeit bei der Wohnungssuche noch mehr in den Fokus.«

Nina Milchrahm

Leiterin Wohnimmobilien Colliers International

Nina Milchrahm

Leiterin Wohnimmobilien Colliers International

Wunsch nach Freiflächen

»Wir haben während des Lockdowns 2020 einen regelrechten ›Run‹ auf Freiflächen festgestellt«, meint Judith Kössner, Head of Immobilien bei willhaben.at. So haben sich zum Beispiel die Immobiliensuchen mit dem Stichwort ›Garten‹ zu diesen Zeiten nahezu verdoppelt. Sascha Haimovici: »Zusätzlich sind grüne Naherholungsbiete in fußläufiger Erreichbarkeit wünschenswerte Eigenschaften bei der Immobiliensuche in der Stadt.«

Wer bereits im Vorfeld auf das richtige Pferd gesetzt hat, der profitiert von der Situation. So berichtet Stefan Messar, Eigentümer und Geschäftsführer von Glorit: »In den letzten zwölf Monaten haben sich viele Wohnwünsche herauskristallisiert oder verstärkt, die wir schon immer bei unseren Wohn­bauten umsetzen: große Terrassen mit großen Glasfronten und Schiebeelemente, die den Wohnbereich vergrößern.« Wer sein Zuhause nicht verlassen kann – und wenn, dann nur mit Maske –, dessen Innerstes ruft nach Luft und Raum. Daher hatte Glorit von Jänner 2020 bis Jänner 2021 ein Anfrageplus von 62 Prozent zu verzeichnen.

»Durchdachte und sinnvolle Grundrisse ermöglichen es den Mietern/Käufern, die Räume flexibel zu nutzen«, meint Gerd Pichler, Head of ARE Development. Mit flexibel ist einmal grundsätzlich die Möglichkeit von Homeschooling beziehungsweise Homeworking gemeint. »Verbunden mit diesen Wünschen nach mehr Fläche und mehr privatem Freiraum ist natürlich immer die Frage der Leistbarkeit«, so Pichler. Wenn schon kein eigenes Arbeitszimmer, »so wird doch zumindest die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz räumlich abzuteilen, oder eine Nische für den Schreibtisch wichtiger werden«, meint Daniel Riedl, Vorsitzender der Vonovia. Das heißt aber auch, dass Wohnungssuchende ­die Wohnflächen mit ganz anderen Augen betrachten. Während man früher fragte: ­»Wo kommt der Fernseher hin?«, wird jetzt die Frage gestellt, wo die ideale Stelle für einen Arbeitsplatz ist. Apropos Arbeitsplatz: Mit der zunehmenden Wichtigkeit, »zu Hause in der Arbeit« erreichbar zu sein, wird eine leistungsfähige IT-Infrastruktur zum Qualitätsmerkmal einer Wohnung – mit Breit­band­­­kabelanschluss und/oder schnellem WLAN im Gebäude sowie Stromanschlüssen und Multimediaanschlüssen überall dort, wo man sie braucht.

Die Zeit in den eigenen vier Wänden hat das Miteinander und den nachbarschaftlichen Austausch verstärkt. Gerd Pichler: »Soziale Aspekte und Kommunikationsräume haben durch die Pandemie sicher noch stärker an Bedeutung gewonnen.« Und ein weiteres Thema hat durch Corona mehr Dynamik bekommen: »Die Kunden fragen aktiv nach, inwieweit Nachhaltigkeitskriterien bei den neuen Wohnbauten erfüllt worden sind«, sagt Sandra Bauernfeind von EHL Wohnen. Was sich in den letzten zwölf Monaten getan hat, ist bemerkenswert, und wir dürfen weiterhin gespannt sein, wie sich der Wandel im Wohn­raum widerspiegeln wird.

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