© MONO Architekten

Wie wollen wir in Zukunft bauen?

Selten war ein Jahreswechsel dermaßen von Krisen gebeutelt und von trüben Aussichten geprägt wie der Eintritt ins Jahr 2023. Wie wollen wir in Zukunft bauen, das Klima in den Griff kriegen und unsere globalen Probleme lösen? Ein paar Ansätze machen Hoffnung.

03.03.2023 - By Wojciech Czaja

Weltweit gibt es rund 42.000 Flughäfen und Flugplätze, und laut Central Intelligence Agency, auch besser bekannt als CIA, handelt es sich bei mehr als 1.200 davon um internationale Airports mit rund zwei Milliarden internationalen Passagier:innen und mehr als 50 Millionen Tonnen Güterverkehr pro Jahr. Die hohen infrastrukturellen und sicherheitstechnischen Anforderungen sorgen dafür, dass ein Flughafen in erster Linie als funktionierender Organismus wahrgenommen wird – und nur selten auch als Architektur. Schönheit oder gar Ökologie zwischen Himmel und Erde sucht man in den meisten Fällen vergeblich.

Der dänische Architekt Bjarke Ingels, der seit 2005 das weltweit renommierte Büro Bjarke Ingels Group (BIG) leitet, will das nun ändern. Am Flughafen Zürich, der sich seit seiner Eröffnung in den 1950er-Jahren zu einem der wichtigsten Drehkreuze Europas entwickelt hat, tritt er nun den Beweis an, dass auch inmitten des Transits ein schöner, nachhaltiger und auch emotional ansprechender Ort geschaffen werden kann: Das in die Jahre gekommene Dock A soll abgerissen werden, an seine Stelle tritt ein hölzernes Raumfachwerk, in dem das Warten auf den Flieger mit abenteuerlichen Aus- und Durchblicken gefeiert werden kann. Der Terminal wird sowohl Schengen- als auch Non-Schengen-Gates umfassen.

»Flughäfen wachsen und entwickeln sich ständig weiter, und auch internationale Richtlinien und Sicherheitsanforderungen ändern sich in regelmäßigen Abständen«, sagt Ingels. »Damit werden Flughäfen also tendenziell immer komplexer: Es sind Frankensteins aus miteinander verbundenen Elementen und Erweiterungen, meist ohne roten Faden, ohne einheitliche architektonische Handschrift.« Die großen Hubs, wie etwa Amsterdam Schiphol, London Heathrow oder der JFK-Airport in New York, sind grauenvoll gute Beispiele für die Frankenstein-Theorie.

»Für den neuen Terminal A am Flughafen Zürich haben wir versucht, dieses funktionale Wirrwarr zu bündeln und möglichst viele Erweiterungs- und Verdichtungsschritte vorauszudenken – mit einem Raumfachwerk aus Massivholz, das Tragwerk, Raumerlebnis und Leit- und Orientierungssystem in einem ist.« Das Holz soll aus der Region bezogen werden, dazwischen viel Glas und Tageslicht, am Dach schließlich eine Eindeckung aus Solarschindeln. Das neue Dock soll in etwa zehn Jahren in Betrieb gehen.

Kindergarten Alma, Paris

Ein Lehmbau in unmittelbarer Nähe
des Eiffelturms? Es geht! Régis Roudil architectes schufen einen ruhigen, unaufgeregten, zugleich authentischen Kindergarten, der sich auf die Psycho-logie der Kinder positiv auswirken sollte. Durch die natürliche Bauweise in Holz und Lehm wirkt die Crèche de l’Alma tatsächlich so, als sei sie immer schon hier gewesen. regisroudil.fr

»Wir haben das Klima mit unserem Bauen und unserem Verhalten schon zur Genüge beeinflusst«, sagt Karin Stieldorf, Leiterin des Universitätslehrgangs Nachhaltiges Bauen
an der TU Wien. »Jetzt geht es darum, die ­Verantwortung dafür zu übernehmen und die künftigen Auswirkungen so gering wie ­möglich zu halten. Das bezieht sich zum einen auf den Bodenverbrauch, auf einen respekt­vollen Umgang mit Energie, auf die Multifunktionalität und Nutzungsflexibilität der gebauten Kubatur, aber natürlich auch auf die Wahl des Baustoffs.« Und ja, sogar auf einem Flughafen, der per se Symbol für CO2-Emis­sion und Klimakrise ist, könne man mit dem Einsatz des Baustoffs Holz eine gewisse ­Sensibilisierung bewirken.

Will man so etwas wie einen Trend in der Architektur ausmachen, dann ist dies angesichts der vielen zusammenfallenden Krisen und des immer teurer werdenden Grunds und Bodens vor allem eines – und zwar umlernen, neu denken, über den Tellerrand blicken. Ein paar kürzlich realisierte oder sich noch in Entwicklung befindende Projekte zeigen vor, wie dies geht – ob das nun eine bunte Terrassenlandschaft inmitten eines verwahrlosten Stadtviertels ist, ein radikaler Kindergarten aus Lehm direkt neben dem Eiffelturm oder eine gänzlich neue, innovative Nutzungs­kombination, die es in dieser Art weltweit wohl noch nie zuvor gab.

In der Nähe von Erfurt, Thüringen, schufen die Mono Architekten eine Tankstelle ­mitsamt Raststättencafé und vereinten diese mit einem Museum, das dem angrenzenden ­Leubinger Fürstenhügel, einem Hügelgrab aus der Bronzezeit, gewidmet ist und das sich mit archäologischen Bodendenkmälern in der Region befasst. Um die beiden konträren Nutzungen formal zu bändigen, entschieden sich die Architekten, zwei Giebelbauten aus Holz mit Aluminiumeindeckung über das ungewöhnliche Ensemble zu stülpen. Die Form des Langhauses zitiert eine in der Bronzezeit weitverbreitete Architektur­typologie.

Neu behirnt und quergedacht: Die Tankstelle in Thüringen macht auf überraschende Weise sichtbar, wie vergänglich unsere Lebenskulturen und unsere künstlich ­geschaffenen Bauwerke sind – und macht Hoffnung, dass auch die heutigen Benzin- und Dieseltankstellen eines Tages aus der Landschaft verschwinden und von den nächsten Generationen mit großer Ver­wunderung im Museum bestaunt werden.

Tankstelle und Museum

Ein Ort mit vielen Kontrasten: Direkt neben dem Leubinger Fürstenhügel, einer bedeutenden Grabstätte aus der Bronzezeit inmitten von Thüringen, führt die A71 vorbei, und genau hier errichteten die Mono Architekten eine Raststätte mitsamt einem archäolo-gischen Museum, das dem nahe gelegenen Hügelgrab gewidmet ist. So müssen wir in Zukunft Funktionen neu denken! monoarchitekten.de

»Wir haben das Klima mit unserem Bauen und unserem Verhalten schon zur Genüge beeinflusst. Jetzt geht es darum, die Verantwortung dafür zu übernehmen und die künftigen Auswirkungen so gering wie möglich zu halten.« Karin Stieldorf, Leiterin des Universitätslehrgangs Nachhaltiges Bauen an der TU Wien

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