Warum Sofas begehrenswert sind: Kolumnist Wolfgang Pauser analysiert
Herbstzeit ist Sofazeit. Mit Knabbergebäck und Bierdose auf der Fernsehcouch findet der moderne Mensch seine Mitte. Warum ist das so?
11 . September 2016 - By Dr. Wolfgang Pauser
Die erfolgreichste kulturelle Erfindung des letzten halben Jahrhunderts war die Fernsehcouch. Gemeinsam mit einem niedrigen Tischchen und dem Fernsehapparat ist sie das Zentrum eines Rituals, zu dem auch spezielle Speisen und Getränke gehören. Diese müssen nicht nur praktisch für den Verzehr im freien Luftraum geeignet sein, sondern auch dem Geist des Sofasitzens gerecht werden.
Sigmund Freud hatte die Couch zum Werkzeug seiner Heilbehandlung gewählt, weil sie den Körper in eine Mittelstellung bringt zwischen Sitzen und Liegen. Liegenden droht die Gefahr einzuschlafen. Aufrechtes Sitzen hielte die bürgerliche Tagesverfassung sittsamer Selbstkontrolle allzu sehr aufrecht. Die 45-Grad-Sitzstellung sollte die Wachsamkeit über die innere Traumwelt schwächen. Als Heilinstrument war es die Aufgabe der Chaiselongue, eine Übergangszone zwischen der Tagwelt der Selbstüberwachung und der Nachtwelt der Traumversunkenheit zu installieren.
Freuds Couch bringt Träume und Unbewusstes zur Sprache und zutage. Wie die moderne Fernsehcouch kombiniert sie eine plappernde Tonspur mit dem fantastischen Geschehen eines inneren Films. Auch die Couch selbst hat ein Unbewusstes, das sie uns erzählen kann. In ihren Polstern stecken persönliche Erinnerungen, allgemeine Assoziationen und kulturelles Gedächtnis. Diese Bedeutungstiefe machen wir uns nicht bewusst, weil wir ja gar nichts anderes als sitzen, fernsehen und knabbern wollen.
Betrachten wir das idealtypische Sofa unserer Zeit: Stilistisch vom Bauhaus inspiriert, übertreibt es dessen Prinzipien des Rechteckigen und Flachen in neomodernistischer Manier. Warum ist das heutige Sofa so niedrig, warum die Sitzfläche viel tiefer, als ein Menschenschenkel lang ist? Die Motive dieses Designs liegen im kulturellen Bruch der 1960er-Jahre, im Protest gegen den »aufrechten Bürger«. Für diesen war eine Körperhaltung wichtig, die Selbstbeherrschung, Höflichkeit, gutes Benehmen, Respekt und Distanz signalisierte. »Sitz ordentlich!«, wurden die Kinder häufig ermahnt – das schlimme Gegenstück zum disziplinierten Sitzen nannte man »Lümmeln«.