© Francis Amiand

Materialimitate werden immer besser. Und: Sie sind auch noch besser als ihr Ruf. Vor allem wenn mit Innovationsgeist ökofreundliche und nachhaltige Alternativen zum Altbekannten geschaffen werden. LIVING weiß, warum das Richtige oft im Falschen zu finden ist.

24.03.2022 - By Manfred Gram

Die Realität ist oft einmal ein ziemlich harter Hund. Um sie ein bisschen besser zu ertragen, umgibt sich der Mensch gerne mit schönen, echten und wahren Dingen. Daran kann er sich dann delektieren, bevor es wieder rausgeht in die Realität zum harten Hund. Es gibt dabei nur ein kleines Problem: Das Schöne, das Echte, das Wahre ist begrenzt, daher nicht immer verfügbar und auch entsprechend kostenintensiv. Trotzdem wollen es alle. Also was tun?

Einige Lösungsansätze gibt es. Man kann zum Beispiel Teppiche so knüpfen, dass sie wirken, als wären sie aus Marmor. Auch Tücher lassen sich so weben, dass sie in Terrazzo-Optik daherkommen. Zudem verfügt der Mensch über einen findigen Geist, der recht schnell auf weitere Ideen gekommen ist, um mit günstigeren Mitteln dem Schönen, Echten und Wahren näher zu kommen. Oder besser: es nachzumachen. Das ist okay, wenn’s jeder weiß und auch offen kommuniziert wird. Laminat statt Holz, falscher Marmor, Beton zum Kleben, Steinplatten aus Altpapier – Design-Ästheten stoßen dabei zwar schnell einmal an ihre Toleranzgrenzen und rümpfen die Nase, aber wirklich dabei ist nichts. Zum Problem werden Imitate erst, wenn die Täuschung arglistig geschieht und billig hergestelltes Nachgemachtes weit über Wert verkauft wird.

Fast genauso

Vielleicht ist auch dies ein Grund, warum Imitate, insbesondere, wenn sie edle Materialien nachäffen, nicht den besten Ruf genießen. Aber nicht nur.  Designerin Moya Hoke, die auch an der New Design University in St. Pölten Design, Handwerk & materielle Kultur unterrichtet, erklärt, zum (problematischen) Wesen von Materialimitationen befragt: »Wenn Dinge an ihrer Oberfläche nicht ihr Innenleben, ihre eigentliche Zusammensetzung preisgeben, können sie in vielerlei Hinsicht problematisch werden. Produkte entgleiten uns, wenn wir nicht wissen, woher sie kommen oder wie sie gemacht sind.«

Sascha Peters, Mitgründer von Haute Innovation, einer Berliner Agentur, die sich intensiv mit (Zukunfts-)Fragen zu Material und Technologie beschäftigt, sieht das übrigens ähnlich. »Tatsächlich stehen wir Imitaten, die versuchen, ein natürliches Material wie Holz, Stein oder Marmor durch minderwertige Kunststoffe zu ersetzen, nicht sonderlich positiv gegenüber.« Der Experte und Materialkenner, relativiert aber auch ein klein wenig seine Grundhaltung: »Wenn Technologien dazu führen, dass CO2 in der Produktion und im gesamten Prozess eingespart wird, haben Imitate dennoch eine Berechtigung – wie bei Betontapeten zum Beispiel.«

Schau genau

Real oder Fake? Eine Frage des Materials und der Optik. Der Spiegeltisch »Float« besteht aus poliertem Edelstahl

Real oder Fake?

Das Stahlregal »Rocky« macht dank Superlack auf Plastik.

Weiches Hartes

Nicht schlecht, die Teppichserie »Sense of Marble« von Desso.

Neue Schachtel

Schaut aus wie eine Holzbox, ist aber aus Karton mit nachgemachter Maserung. Designerin Pernille Snedker hat hier ganze Täuschungsarbeit geleistet.

Neue Haut

Peelsphere ist eine Materialinnovation. Aus Schalen von Obst wird eine wasserfeste und hitzebeständige Lederalternative gemacht.

© Falstaff - Kann Produktplatzierung enthalten

Good Fake

Man sieht, mit dem passenden Argument können auch Materialien, die auf Mimikry aufbauen und so tun, als wären sie was anderes, mehr als bloße Imitation sein. Es kommt also auf den Kontext an. Dementsprechend wichtig ist es daher, zu differenzieren: »Erzählen Materialien Geschichten über ihre Herkunft, wie beispielsweise Lampen aus Orangenschalen, die vielleicht als Nebenprodukt der Saftproduktion entstehen, oder Steine, die als Pyroplastik an Strände gespült werden und dann zu Terrazzoböden werden, sieht die Sache wieder anders aus«, meint Maya Hoke und präzisiert: »Diese Materialien sind Reaktionen auf unsere nun veränderte ökologische Sphäre im gestalterischen Sinne. Es handelt sich eigentlich nicht um Imitate, vielmehr sind es zu Material gewordene Zeugen unserer Zeit.«

Zeitzeugen, die allgegenwärtig sind. Speist man etwa im dänischen Überdrüberrestaurant »Noma«, tut man dies von Tellern, die aus an­gespülten Muscheln gemacht wurden, aber wie Keramik aussehen. Besucht man (sofern sie ­stattfinden) Designmessen, stößt man sicher
bald einmal auf Gläser und Vasen, die keinen herkömmlichen Produktionsprozess hinter sich haben und beispielsweise aus alten Ascheresten von Pizzaöfen gefertigt sind. Alte Apfel- und Bananenschalen werden als widerstandsfähige Stoffe wiedergeboren, und was wie eine Betonplatte aussieht, können einst Fischschuppen ­gewesen sein.

Man kommt also durchaus zum Eindruck, dass im Imitation-Game alles zu neuem Material verarbeitet wird, was irgendwie einen Nachhaltigkeitsaspekt aufbringt. Und doch verweist das alles auf etwas Größeres: »Es geht nicht um ­Imitationen, sondern um die Entwicklung und den Einsatz hochwertiger neuer Materialien aus natürlichen Reststoffen«, erklärt Sascha Peters. Es geht also darum, die »falschen« durch die »richtigen« bzw. »richtigere« Materialien zu er­setzen. Oder wie Peters analysiert: »Auf den ersten Blick sieht dieser Austausch nach einer Imitation aus, doch er ist ein Transformations­prozess in eine neue nachhaltige Materialkultur.«

Effektvoll

Auch so können Imitation und Mimikry sein: einfach einmal eine Webdecke im Terrazzo-Look herstellen.

Seafood

Diese Teller aus alten Muscheln und Ton sind gerade im dänischen Toprestaurant »Noma« angesagt.

Mit Wand und Fuß

Die Wandplatten in Rostoptik von imi surface design kann man auch als Fußboden einsetzen.

Glasklar

Das Studio peipei hat den Öko-Durchblick und macht aus alter Asche aus Pizzaöfen und Muschelresten Glas.

Salonfähig

Vinyltapeten imitieren nicht nur Beton. Hier hat man sich fürs Relief von Gips- und Stuckaturarbeiten inspirieren lassen.

© Falstaff - Kann Produktplatzierung enthalten
An der Schnittstelle zwischen Biologie und Technik sehen wir die weitreichendste Innovation für die Zukunft.

Sascha Peters Materialexperte

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