© beigestellt

Rethinking Design - Designprofessor und -kritiker markus Frenzl im Gespräch

Markus Frenzl ist Designprofessor und -kritiker. Er liefert im Gespräch mit LIVING Denkanstöße zu ästhetischen Erwartungen, bewusstem Konsum und dem Ende des Autor:innendesigns.

19.04.2023 - By Nicola Afchar-Negad

LIVING Was ist gutes bzw. gelungenes Design?

MARKUS FRENZL Der Begriff des »guten Designs« ist stark von der Idee der »guten Form« und dem Dogma des Funktionalismus geprägt. Es gibt aber kein per se »gutes« oder »schlechtes« Design. Design muss immer kontextbezogen bewertet und dahingehend betrachtet werden, wie gut es die Anforderungen von Auftraggeber:innen und Käufer:innen erfüllt, zum Beispiel wie gut es sich in bestehende Kontexte, Systeme und mein Leben integriert, wie gut es sich reparieren oder am Ende rezyklieren lässt und wie gut es ästhetische Erwartungen erfüllt oder konterkariert.

Welche Relevanz hat Designkritik für jede:n Einzelne:n – und welche für die Gesellschaft?

Designkritik sollte die Menschen dazu be-fähigen, sich fundiert mit Design auseinanderzusetzen, sich ein Urteil über Entwürfe, Produkte, Services oder Systeme zu machen, die Zusammenhänge bei der Produktion oder Entsorgung der Dinge zu verstehen oder die kulturellen Kontexte zu erkennen, warum ein Ding so aussieht, wie es aussieht. Leider gibt es kaum Medien, in denen fundierte Designkritik einen Platz hat. Das Internet kann die ursprünglichen Erwartungen an kritische, unabhängige Positionen kaum erfüllen. Und die Publikumsmedien behandeln Design
noch immer viel zu oft als dümmliche Ästhetisierungsdisziplin.

Besteht die Möglichkeit, dass Ihnen als Kritiker etwas nicht gefällt, es aber gutes Design darstellt?

Natürlich. Auch ein Entwurf, der einem formalästhetisch nicht zusagt, kann seine praktischen oder symbolischen Funktionen perfekt erfüllen, nachhaltig und sozial verantwortungsvoll sein. Ein simples Senior:innenhandy kann »gutes Design« sein, wenn es als »Universaldesign« für alle die Bedienung verbessert. Und ein Entwurf kann vor einigen Jahrzehnten hervorragend gestaltet worden sein, aber technologisch oder kulturell nicht mehr in unsere Gegenwart passen.

Welche Verantwortung hat Design heute?

Viele verstehen erst jetzt, da wir unseren Konsum radikal verändern müssen, welchen Einfluss Design zum Beispiel auf Ressourcenschonung und Materialverbrauch hat. Aber es geht nicht nur um die Auswahl nachhaltiger Materialien, sondern auch um das systemische Denken zu Nutzungskreisläufen, Lebensdauer, Auswirkungen und genereller Sinnfälligkeit eines Produkts. Der Club of Rome hat ja schon 1972 mit dem »Grenzen des Wachstums« dazu aufgefordert, über Alternativen zur Wachstumslogik nachzudenken. Das haben wir noch immer nicht konsequent genug gemacht. Und ich bin immer wieder erstaunt, dass die Start-up-Kultur unserer Zeit sich viel zu selten von dieser Wachstumslogik löst: Viele befassen sich zwar mit Nachhaltigkeit und sozialen Themen, aber ihre Lösung für ein Problem ist meist noch immer ein Produkt, sei es gegenständlich oder eine Dienstleistung. Die Lösung kann aber nicht immer ein Produkt sein, sondern sie muss manchmal auch ein Kulturwandel sein: Beispielsweise nicht die Gestaltung eines -wiederverwendbaren »To go«-Kaffeebechers, sondern die Gestaltung einer Kultur, bei der Kaffee wieder »to stay« ist.

Was halten Sie davon, dass der Name von Designer:innen heute fast am meisten zählt?

Die Entwicklung des Autor:innendesigns ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts, das mit der Hyperökonomisierung gegen Ende des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht hat. Vintagemöbel von Designgrößen sind für viele Menschen zu Sammelobjekten geworden, die sich einer objektiven Beurteilung entziehen. Die Fokussierung auf das Autor:innendesign als mutmaßliches Ergebnis des Geistesblitzes eines kreativen Genies hat mit der Entwurfsrealität jedoch nichts zu tun, bei der Anforderungen der Kund:innen, der Produktions- oder Vertriebsbedingungen den Entwurf immer mindestens genauso stark beeinflussen. Storytelling ist für viele Designer:innen zu einem viel zu selbstverständlichen Marketinginstrument geworden. Leider lassen sich Medien oft von diesen Geschichten blenden und greifen sie in ihrer Berichterstattung völlig unreflektiert auf. Wir werden zwar sicher immer Autor:innendesigner:innen brauchen, die als Avantgarde der Orientierung dienen und neue Wege beschreiten. Aber die große Zeit des Autor:innendesigns ist vorbei. Die gewaltigen Herausforderungen unserer Zeit brauchen verschiedene Perspektiven und Disziplinen, die im Team gemeinsam neue Lösungen finden. 

Gibt es im Produktdesign Entwicklungen, die Sie begeistern? Beispiel mobiles Licht, wie es Artemide mit der Lampe »Takku« vormacht?

Natürlich sind aktuelle technologische oder kulturelle Entwicklungen immer ein Antrieb für unsere Disziplin. Die mobilen Akku-Leuchten sind einerseits Ausdruck davon, dass durch die Weiterentwicklung einer Technologie wie der LED-Technologie wirklich neue Produkttypologien entstehen können und Licht mobil geworden ist. Andererseits kommen sie meist dort zum Einsatz, wo man früher vielleicht eine Kerze verwendet hätte, etwa in Restaurants. Das ist sicher
komfortabler, aber nicht unbedingt ökologischer und vielleicht auf lange Sicht sogar ein kultureller Verlust. Mich freut, dass immer mehr Designer:innen gemeinsam mit Hersteller:innen daran arbeiten, wie man im Produktdesign modular aufgebaute, vollständig demontierbare, recycelbare und auch reparierbare Produkte entwerfen kann, und dafür auch Servicestrukturen aufbauen.

Abschließend: Welche Fähigkeiten sollten sich Designstudierende aneignen?

Sie sollten sich der Konsequenzen ihrer Arbeit bewusst sein und Design als gesellschaftsrelevante, sinn- und kulturstiftende Aufgabe begreifen. Sie sollten verstehen, dass sie die Welt nicht allein retten können, aber versuchen müssen, ihren Teil dazu beizutragen.

Markus Frenzl ist Professor für Design- und Medientheorie, Design und Innovationskulturen an der Hochschule München. Er ist Designconsultant und Design-kritiker. Mit seinem Büro 4gzl/designkontext ist er für Unternehmen wie Lufthansa tätig. design.hm.edu, 4gzl.de

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 02/2023

Für den LIVING Newsletter anmelden

* Mit Stern gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Anrede

Lifestyle & Genuss – das sind die zentrale Themen der Falstaff-Magazine. Nun stellen wir das perfekte Surrounding dafür in den Mittelpunkt. Das Ambiente beeinflusst unsere Sinneseindrücke – darum präsentiert Falstaff LIVING Wohnkultur und Immobilien für Genießer!

JETZT NEU LIVING 24/02