© Courtesy of Lynk & Co.

Retail-Revolution: lokale Geschäfte experimentieren

Hexenküche Handel: Die Covid-Krise wirkt als Brandbeschleuniger in einer ohnehin anstehenden Retail-Revolution. Während manche Handelsmarken wegsterben, besetzen innovative Formate die leer gewordenen Flächen. Es wird munter Neues ausprobiert.

15.06.2021 - By Heimo Rollett

Totgesagte leben länger und trinken Bubble Tea. Mitten in der Wiener Innenstadt eröffnete »Teeamo« seinen ersten Österreich-Standort. In Deutschland gibt es schon elf Stores. Verkauft werden Lifestylegetränke mit und ohne ­Kügelchen. »Ja, die Gastronomie leidet, aber wir sehen derzeit in der Gastronomie wie auch im Handel eine massive Weiterent­wicklung«, erklärt Patrick Homm, Leiter Gewerbeimmobilienvermarktung bei Otto Immobilien, die das Teegeschäft in das ­Lokal in der Goldschmiedgasse gebracht hat. Krise hin oder her, weitere Marken wie etwa »Hans im Glück« werden in die Bundeshauptstadt kommen. Burger geht halt immer, selbst in der Krise – siehe »Five Guys«, das trotz ­Lockdown eine fulminante Lokaleröffnung ­inklusive großem Hype hinlegte.

Experimentierfreude

Klar, es gibt Insolvenzen, Standortschließungen und Expansionsstopps. Aber auch Versuchsballone, Pop-up-Proben und Online-offline-Tests. Immer mehr Internet­geschäftsmodelle suchen echte Flächen, auf denen sie ihre Produkte realiter herzeigen, sie erlebbar machen und die Markenwelt drum herum inszenieren können. Mister Spex, Omni­channel-Optiker, wie er sich selbst nennt, eröffnet im Frühjahr seinen ersten Store in Österreich – in der SCS. 900 Brillen gibt es zum Probieren, mehr als 10.000 Modelle befinden sich im Onlineportfolio. Vaund, _blaenk und The Latest nennen sich die Vorboten eines bislang unbekannten Handelsformats: Try-before-you-buy-Anbieter. Hier werden keine Waren gekauft, sie sollen nur – ergänzend zum Internet – in echt hergezeigt und in Szene ­gesetzt werden. Oft werden auch kleine, noch unbekannte Hersteller promotet. Diese zahlen für die Ausstellungsfläche und bilden so das Einkommen der Shopbetreiber. Die Waren selbst werden von den Besuchern mit dem Smartphone gescannt und so online bestellt.

Auch Hypeneedz war ursprünglich nur online präsent, Instagram und Influencer zählten zu den wichtigsten Marketingtools. Gehandelt werden gebrauchte Sneakers und Modeartikel. Keine Secondhandfetzen, ­sondern Sammlerstücke – da wechseln die Turnschuhe schon mal um 700 Euro den Besitzer. In München wagte man den Versuch, ein echtes Geschäft aufzumachen, es ging gut, nun folgt das zweite. Location: ­Rauhensteingasse, Wien. 

E-Mobilität als Thema

Schwung in die Retailbranche bringen auch neue Themen wie etwa die Elektromobilität. In der Wiener Mariahilfer Straße hat die Porsche Holding einen Themen-Pop-up-Store um-gesetzt, und auch E-Scooter-Werkstätten und Servicepunkte für E-Fahrräder werde es in Zukunft brauchen, meint Mario Schwaiger, Retail-Experte bei EHL Immobilien. In großem Stil zeigt sich dieser Trend in Amsterdam und Göteborg, dort hat Lynk & Co, eine Marke des chinesischen Automobilherstellers Geely (seit 2010 auch Mutterkonzern von Volvo), seine ersten europäischen Mobilitäts-stores eröffnet. Ein Autohaus? Fehlanzeige. Hier gibt es Lounges mit lässigem Interieur, eine Kaffeebar und Co-Working-Spaces. -Irgendwo in einem Glaskubus steht dann doch auch das Auto herum, essenzieller sind aber die Veranstaltungsflächen. Hier geht es um Community, um Lifestyle. Die Fahrzeuge von Lynk & Co werden über eine Abo-Mitgliedschaft vertrieben, das Geschäft nennt sich daher auch »Club« – und schaut auch so aus.

Bleibt im Handel denn kein Stein auf dem anderen? Nicht ganz. Shoppingcenter werden laut Experten weiterhin Erfolg haben, so sie gut gemanagt sind. Lebensmittelhändler -verbuchten in den letzten Monaten ohnehin Rekordumsätze, und gute Lagen bleiben auch während und nach der Pandemie beliebt – das gilt auch für Nahversorger. Beim Projekt Bliss in herausragender Lage in Wien-Döbling berichtet der Projektentwickler Cuubuus etwa über enorme Nachfrage nach der Erd-geschoßfläche. Trotz des Interesses blieb das Papierfachgeschäft, die Papeterie Stöger, als Mieter im Haus. Das sei auch von der Bevölkerung positiv aufgenommen worden, denn trotz Umbau und modernen Erscheinungsbilds bleiben ein Stück Tradition und die Institution Stöger bestehen.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 04/2021

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