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Ökologische und klimaneutrale Baustoffe erleben derzeit einen regelrechten Hype. Nicht nur aus Holz, sondern auch aus Lehm, Stroh und sogar Bambus sind weltweit einige atemberaubende (und auch atemspendende) Vorzeigebeispiele entstanden.

25.01.2020 - By Wojciech Czaja

Als würde man im Inneren einer Schlange stehen, wölbt sich über das gesamte Open-Space-Office eine gepixelte Schlangenhaut mit mal weiß gefüllten, mal transparenten, Tageslicht spendenden Schuppen. Naturverbunden ist nicht nur die Assoziation mit dem schleichenden Reptil, das sich seit wenigen Monaten über das Areal des Schweizer Uhrenherstellers Swatch Omega windet, sondern auch das tragende Material: Die gesamte Kon­struktion besteht aus CNC-gefrästen Holzleimbindern, die wie in einem dreidimensionalen Puzzle mit Versatzen und Ausnehmungen Stück für Stück ineinandergesteckt und zusammengeschraubt wurden. 

»Der Kanton Bern ist sehr berühmt für ­seine jahrhundertelange Holzbautradition«, sagt Shigeru Ban. Der japanische Architekt, der 2014 mit dem renommierten Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, ist ein Meister für ökologische Baustoffe wie etwa Holz, Reispapier und Pappkarton. »So wie schon bei meinem Centre Pompidou in Metz war für mich klar, dass ich auch bei diesem Projekt naturbelassenes, sichtbares Holz als primär gestaltgebendes Material verwenden will. Bauholz ist der einzige ökologische Baustoff, den man weltweit in großer Menge für fast unbegrenzt viele Bautypologien einsetzen kann.« Insgesamt besteht der neue Swatch Omega Campus in Biel aus 7700 gekrümmten Einzelstücken. Kein Träger gleicht dem anderen.

Ich bin schon neugierig darauf, wie sich die Strohballen nicht nur in Simulationen, sondern auch in der Realität auf das Raumklima in den Klassen­räumen auswirken werden. Nuru Karim Nudes

Nuru Karim Nudes

Der 25.000 Quadratmeter große Campus, der mit weit aufgerissenem Maul an die bestehende Anlage andockt, scheint genüsslich in jenes gläserne Nachbargebäude hineinzubeißen, das Shigeru Ban bereits zwei Jahre zuvor geplant und auf den Campus gestellt hat. Der Zubau umfasst Büros, Meeting-Spaces, Ausstellungsflächen und sogar einen Veranstaltungsraum für Präsentationen und Pressekonferenzen. In Summe sind in der sogenannten Cité du Temps 18 Marken und Tochterunternehmen unter einem hölzernen Dach vereint. Ein nicht unwesentlicher Aspekt am Rande: Mit einer Baugenauigkeit von 0,1 Millimetern erreicht der ingenieurmäßige Holzbau fast schon die Präzision eines Schweizer Uhrwerks. 

Doch nicht nur mit Holz kann ökologisch gebaut werden, sondern auch mit Lehm, Stroh und Bambus. All diese Materialien sind vielerorts leicht verfügbar, und vor allem im Global South sind die nachwachsenden Rohstoffe aus dem Schoß von Mutter Natur eine günstige, leistbare Alternative zu den oft teuren Produkten der globalen Bauindustrie. In Malawi, Südostafrika, plant das indische Kollektiv Nudes rund um Nuru Karim eine Grundschule aus Strohballen. Das Bottom-up-Projekt, das gemeinsam mit der Bevölkerung realisiert werden soll, kombiniert günstige Bauweise, Materialrecycling und angenehmes Raum­klima mit Verschattung und Querlüftung. 

In Baoxi, Ostchina, rund 400 Kilometer südwestlich von Schanghai, baute die Salzburger Architektin Anna Heringer im Rahmen der Longquan International Bamboo Architecture Biennale 2017 eine Jugendherberge aus Lehm und Bambus. Die drei Bambushäuser, die wie überdimensionale Reiskörbe in der Landschaft stehen, sind nicht nur eine Anknüpfung an die Bautradition der Region, sondern auch ein Beitrag zur lokalen Wertschöpfung. Im Inneren der bis zu 18 Meter hohen Bambushüllen verbergen sich mehrgeschoßige zylindrische Lehmtürme. Über eine Wendeltreppe gelangt man direkt zu den Schlafkojen, die wie stoffverkleidete Waben an der Lehmfassade hängen. »Es gibt in China eine sehr reichhaltige Tradition für Lehm- und Bambusbau«, so Heringer. »Die Longquan International Bamboo Architecture Biennale soll dazu beitragen, diese Kultur zu erhalten und in die Zukunft weiterzutragen. 

Und ich denke, das macht sie mit Erfolg. Mittlerweile kommen viele Schüler, Studierende und Architektinnen nach Baoxi, um die Bauten zu besichtigen und zu studieren.« Und auch, um in einer der hängenden Schlafkojen, die sich im Land längst herumgesprochen haben, zu übernachten. 

Einen besonderen Hype erlebt derzeit der Massivbaustoff Lehm. Egal, ob bei einer Waldorf-Schule in Berlin, bei einem Wohnhochhaus in Beirut oder beim Österreich-Pavillon auf der World Expo 2020, bei dem vor einem Monat der offizielle Spatenstich erfolgte: Lehm ist nicht nur ein demokratischer, weil leistbarer und vielfach verfügbarer Baustoff, sondern auch einer der bestbewährten Klimaregulatoren überhaupt. Lehm speichert Feuchtigkeit, ist ein guter Isolator und absorbiert sogar Schadstoffe und Gerüche. Dank sandbefüllter Zwischenräume und einer Raumhöhe von bis zu 15 Metern mit einer entsprechenden Kaminwirkung soll der
von Querkraft Architekten geplante Kegel­pavillon in Dubai ganz ohne elektrische Klimatisierung auskommen. Auch das ist Nachhaltigkeit.

Mit dem Expo-Pavillon wollen wir mit der arabischen Kultur und Tradition in Dialog treten. Dank dem Baustoff Lehm kommen wir ohne zusätzliche Kühl- und Lüftungstechnik aus.

Gerd Erhartt Querkraft Architekten

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