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Local Manufacturing: Weil gehobelt wird, fallen Späne

Gibt es eine Alternative zum billigen Massenmöbel und zum Nobelstück aus italienischem Haus? Die Antwort lautet: Ja. Viele heimische Betriebe haben sich auf die Produktion von hochwertigen Möbeln aus lokaler Handarbeit, regionalen Produkten und mit globaler Technologie spezialisiert. Das neue Handwerk boomt.

27.10.2020 - By Wojciech Czaja

Sägen, hobeln, bohren, schrauben, schleifen. »Weißt’, ich arbeite schon seit über 30 Jahren hier«, sagt Gerhard Voithofer, Leiter der Tischlereiwerkstätte, »und unsere Möbel sind nicht nur nach außen schön, sondern haben auch ein richtig schönes Innenleben. Die Werkstoffe werden als Holz geliefert und verlassen unser Haus als Unikat, als hochwertiges Designerstück.« Voithofer, der Herr an den Maschinen, arbeitet für den Traditionsbetrieb Bernd Gruber mit Atelier in Aurach bei Kitzbühel und Produktionsstätte in Stuhlfelden im Salzburger Land. Die Projekte sind weit über die Landesgrenzen hinaus europaweit bekannt.

Vor etwa 20 Jahren hat sich die Traditionstischlerei, inspiriert durch die Mailänder ­Möbelmesse, neu gesucht und neu gefunden. Heute zählt Bernd Gruber, dessen Name in Coffeetable-Books und internationalen Fachzeitschriften zu finden ist, zu jenen österreichischen Manufakturen, die es geschafft haben, alte Handwerkskunst mit frischem, spritzigem Design zu kombinieren. Und, nein, die Werkstatt in Aurach steht bei Weitem nicht alleine da.

»Die Werkstoffe werden als Holz geliefert und verlassen unser Haus als Unikat, als hochwertiges Designerstück.«

Gerhard Voithofer, Leiter der Tischlerei­werkstätte Bernd Gruber

»Tief drinnen sind auch wir ein ganz klassischer Familienbetrieb, gegründet 1933 und von meinem Vater bis zu seiner Pensionierung geführt«, erzählt Martin Steininger – Sneakers und Sakko, ein Smile, als würde er seinen Gesprächspartner mit dem schelmischen Grinser (und natürlich auch mit seinen schicken Küchen) verführen wollen – aus St. Martin im Mühlkreis. »Doch als ich den Betrieb 2001 in dritter Generation übernommen habe, war für mich klar, dass wir das Unternehmen, wenn wir erfolgreich sein und Leidenschaft verspüren wollen, komplett um­krempeln müssen.«

Gesagt, getan. Nach der Transformation ist Steininger, der Küchenhersteller mit dem spiegelverkehrten N im Namen, einer der bekanntesten Local Manufacturer in Österreich. »Der Möbelmarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv verändert«, sagt Steininger. »An den vielen erfolgreichen Billigschienen von Kika, Lutz und Leiner sind viele österreichische Tischlereibetriebe zugrunde gegangen. Dem ­wollten wir entgehen.« Mit Quantität und günstigen Preisen, sagt der ausgebildete Designer, könne man als KMU unmöglich mithalten.

Mit Qualität und zeitlosem, elegantem Design als Ass im Ärmel sieht die Sache schon anders aus. »Wir haben uns entschieden, ganz bewusst in hochwertiges, hochpreisiges Design mit außergewöhnlichen Materialien und hoch­präzisen, oft jahrelang ausgetüftelten technischen Details zu investieren«, so Steininger.

»Form follows function, das ist zwar ein schöner Ansatz, ist uns aber zu wenig. Dass die Dinge funktionieren, setzen wir voraus. Wir wollen, dass die Dinge gefallen und beim Betrachter Leidenschaft erzeugen. Ohne diesen Anspruch macht das Produkt keinen Sinn.« 55 Mitarbeiter, 12 Millionen Euro Jahresumsatz: Die Küchen, Tische und Bänke, die eine Präzision wie ein Schweizer Uhrwerk aufweisen, bestehen aus Holz, Stahl, Glas, Stein und nacktem Beton.

Während herköm­mliche, regional vorkommende Baustoffe ­ wie etwa Vollholz und Stahl vorwiegend aus Oberösterreich kommen, müssen die exotischen Materialien oft in anderen Regionen gefertigt werden. »Die Norditaliener sind Profis im Umgang mit Stein, die Schweizer wiederum haben eine hohe Expertise in der Betonbauweise. Daher lassen wir diese Elemente dort produzieren. Obwohl wir im Endeffekt eigentlich eh selbst Hand anlegen.«

Handwerk im Global Village

Was das heißt? Im letzten Jahr hat Steininger seinen Betrieb auf Vollautomatisierung und Volldigitalisierung umgestellt. Die italienischen und eidgenössischen Kollegen stellen ihr Know-how, ihre Präzisionsmaschinen und ihre hochwertigen Rohstoffe zur Verfügung. Bedient werden die Maschinen allerdings über Fernsteuerung aus dem oberösterrei­chischen 3500-Einwohner-Dorf, mit 3D-Daten, BIM-Modellen und fixfertigen, virtuell durchgetakteten Produktionsschritten. »Die Digitalisierung hilft uns, die nötige Genauigkeit bei unseren Produkte zu erreichen«, sagt Steininger.

»Die Handarbeit wiederum ist dort wichtig, wo wir die Einzelteile bei uns im Mühlkreis zusammenbauen und dem Produkt schließlich seine Seele einhauchen. Ohne Handarbeit, ohne perfekt ausgebildete Handwerker wäre unser Qualitätsanspruch nicht umsetzbar. Daher bin ich überzeugt, dass lokales Handwerk auch in Zukunft nicht aussterben wird.« Das ist auch das Motto von Martin Wetscher aus Fügen im Zillertal. Der ausgebildete Innenarchitekt leitet das 1912 gegründete Unternehmen in vierter Generation.

Das Haus umfasst sowohl ein Möbelhaus, in dem exklusive Marken wie etwa Cassina, Bulthaup, Poliform, Minotti und B&B Italia an­geboten werden, als auch eine hauseigene Werkstatt, in der das Produktportfolio bei Bedarf erweitert und maßgeschneidert angepasst werden kann. Dank einer Kooperation mit den Brands, von denen Wetscher sogar die Stoffe, Materialien und Oberflächen bezieht, können Einrichtungen und Interior-Gestaltungen aus einem Guss hergestellt werden. Jahresumsatz: 25 Millionen Euro.

»Handarbeit ist dort wichtig, wo wir die Einzelteile bei uns im Mühlkreis zusammenbauen und dem Produkt seine Seele einhauchen.«

Martin Steininger CEO Steininger in St. Martin im Mühlkreis

»Unser Spezialgebiet ist die Kombination aus Handwerk und modernen Fertigungstechnologien wie CNC-Fräsen«, sagt CEO Martin Wetscher. »Unsere Computer und Maschinen sind vernetzt und kommunizieren selbstständig miteinander. Die Digitalisierung in der Möbelindustrie ist ein großer Pluspunkt in Richtung Präzision und Passgenauigkeit.« Dennoch, so der 54-Jährige, dürfe die eigene Handschrift, der Hauch der Handarbeit nicht fehlen. »Wir setzen uns dafür ein, dass das Lokalkolorit nicht verloren geht, dass man spürt, ob man gerade in Salzburg, in München oder im Zillertal zu Hause ist. Das kann Handwerk!«

Einen der vielleicht schönsten Produktionsorte unter den heimischen Betrieben hat das 1983 gegründete Unternehmen Grüne Erde (Jahresumsatz: 56 Millionen Euro). In der sogenannten »Grüne Erde-Welt« in Steinfelden bei Pettenbach werden Kissen, Matratzen und Polstermöbel gefertigt und überzogen. »Auf Metall haben wir bei allen unseren Möbeln bewusst verzichtet«, sagt Geschäftsführer Reinhard Kepplinger. »Daher haben wir für Beschläge, Scharniere und klassische Schraubverbindungen in all den Jahren technische Alternativen entwickelt und in Handarbeit so lange daran herumgetüftelt, bis wir absolute Perfektion erreicht haben.«

Und: Die meisten Rohstoffe sind nicht nur nach­haltig, sondern auch vegan. Neben all den lokalen und regionalen Hölzern und Textilien kann es schon einmal passieren, dass Polsterfüllungen aus oberösterreich­-ischen Kirsch­kernen oder den Samen des südameri­ka­-nischen Kapokbaums bestehen. Die flauschigen Kapoksamen, die wie weiße Wat­te­wolken explodieren, sind der perfekte Ersatz für Daunen und Gänsefedern.

»Wir arbeiten mit hoch­­wer­tigen Materialien und selbst entwickelten technischen Details in Handarbeit. Dieser ökologische Luxus sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.«

Reinhard Kepplinger CEO Grüne Erde

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