© Anna Niederleitner

LIVING Salon: Wie genial ist Holz?

Im Wohnbau, im Bürobau und sogar in der Errichtung von Hochhäusern erlebt Holz aktuell einen Höhenflug. Doch worin genau liegen die Vorzüge dieses Materials? Wir haben den nachwachsenden Baustoff etwas genauer unter die Lupe genommen. Ein Gespräch mit Architekt Markus Zilker, Projektentwicklerin Caroline Palfy und Holzproduzentin Johanna Kairi.

20.12.2020 - By Wojciech Czaja

LIVING Die österreichische Holz-industrie hatte vor einigen Jahren eine sehr umfassende Werbekampagne und warb sogar in den Kinos mit dem Slogan »Holz ist genial«. Können Sie dieser Aussage zustimmen? 
Caroline Palfy:
Fast alle Baustoffe müssen wir brennen, gießen, formen, walzen oder mischen, um damit Häuser bauen zu können. Aber Holz wächst in der Natur genau so, wie wir es zum Bauen benötigen. Wir müssen es nur noch auf die gewünschte Größe und Länge zuschneiden. Ja, das ist genial! 
Johanna Kairi: Unser Motto bei Stora Enso lautet: »Alles, was wir heute aus fossilen Rohstoffen produzieren, kann morgen aus dem Rohstoff Holz hergestellt werden.« Wenn man bedenkt, was Holz alles kann, von Textilfasern über Plastikersatz bis hin zu Gebäuden, dann ist das wirklich ein genialer Ausblick. 
Markus Zilker: Mich fasziniert, dass Holz, bevor wir es als Baustoff verwenden, Sauerstoff produziert, das Klima ausbalanciert und Tieren als Lebensraum dient. Als ob das nicht eh schon genug wäre, können wir damit auch noch bauen. 

Wir befinden uns hier im achten Stock des HoHo Wien, des zweithöchsten Holzhoch-hauses der Welt. Wie gefällt Ihnen das Haus? 
Kairi: 
Man kommt in den Raum hinein, und man riecht sofort das Material. Ich liebe diesen Geruch! 
Zilker: Man spürt die unverwechselbare Atmosphäre. Es ist, als würde das Besprechungszimmer einen innerlich beruhigen. 
Palfy: Ich komme ja ursprünglich aus der Althaussanierung, und ich gebe zu: Ich finde historische Altbauten fürs Auge immer noch konkurrenzlos schön. Aber auf einer energetischen, atmosphärischen Ebene ist ein Holzhaus einfach unschlagbar. 

2016 haben Sie beschlossen, dieses über lange Zeit geplante Projekt in die Realität umzusetzen. 84 Meter und 24 Stockwerke in Holzhybrid-Bauweise – warum tut man sich diesen Wahnsinn an? 
Palfy: 
Weil ich die Chance hatte, mit einem superinnovativen Investor ein Grundstück
in der Seestadt anzukaufen und hier ein Exempel für etwas Neues, etwas noch nie Dagewesenes zu statuieren. Die Seestadt steht für Innovation, Experiment und Nachhaltigkeit. Also haben wir beschlossen, unseren Beitrag zu leisten und uns ziemlich weit aus dem Fenster zu lehnen. Wir wollten beweisen, dass Holzbau in städtischer Dichte eine sinnvolle und auch wirtschaftlich machbare Alternative ist. 

Wirtschaftlich auch in der Planung und Entwicklung? 
Palfy:
Oh nein! Wir mussten Pionierarbeit leisten, und das war ehrlich gesagt eine Hacke, die man sich nur antut, wenn man ein bisschen besessen ist und auch einen ordentlichen Knall hat. Phasen mit 80 bis 100 Stunden Arbeitseinsatz pro Woche waren in der heißen Zeit keine Seltenheit. 
Zilker: Worin lag denn die Mehrarbeit für Sie? 
Palfy: Zum Beispiel in der Zusammenstellung des richtigen Teams. Es gibt viele sehr gute Partner, Planer, Fachplaner, Konsulenten und Baufirmen in Österreich. Wir haben jedoch Ausschau gehalten nach jenen, die so wie wir eine Vision verfolgen. Und nicht zuletzt war ein sehr großer Mehraufwand die behördliche Einreichung und die Vorbereitung des Projekts – bin hin zu einem rechtskonformen, bewilligbaren Status. 
Kairi: Das Gute ist, dass wir in Österreich sehr viel Know-how haben. Es gibt eine
jahrhundertealte Holzbautradition, es gibt ambitionierte Unternehmen, und es gibt spannende Innovationen. 

»Jüngere Planer und Auftraggeber sind den neuen Innovationen und Technologien im Holzbausektor gegenüber deutlich aufgeschlossener.«

johanna kairi Holzproduzentin

Ist der Markt schon reif für die neuen, innovativen Holzbautechnologien? 
Kairi: 
Auf jeden Fall. Im Bereich der Vor­fertigung ist die Holzbaubranche sehr fort­geschritten! Klarerweise wird das Holz nicht erst auf der Baustelle zugeschnitten, sondern schon im Werk, wo es Fräsen, Kreissägen und allerlei Hochleistungsinstrumente gibt – und zwar schmutzfrei und wetterunabhängig. Das bedeutet, dass wir mit Holz extrem präzise arbeiten können. 
Palfy: Holzbau war immer schon eine sehr genaue Disziplin. Das meiste spielt sich im Millimeterbereich ab. Holzbau ist nichts, was man mit einer Daumen-mal-Pi-Kultur schafft. Mit der österreichischen Baumen­ta­­lität ist das nicht immer vereinbar. 
Kairi: Auf behördlicher Ebene jedoch ist Wien noch recht zurückhaltend. Da sind andere Bundesländer wie etwa Vorarlberg oder die Steiermark schon deutlich weiter. ­Noch weiter sind hier Skandinavien und die Schweiz. Und in Tokio wird gerade ein Holzhochhaus mit 350 Meter Höhe geplant. Sie sehen, da ist noch viel Luft nach oben! 

Das klingt ja bis jetzt alles sehr wunderbar. Aber kein Vorteil ohne Nachteil. Wo liegen denn die Schwächen des Holzbaus? 
Zilker:
Holz hat wie jeder Baustoff Vor- und Nachteile. Zu den Nachteilen gehört, dass es aufgrund des geringeren Gewichts schlech­tere Schallschutzeigenschaften hat als etwa Ziegel oder Beton. Doch ich sehe nicht ein, warum man bei einem Baustoff, der sonst so viele Vorzüge hat, nicht auch mal ein Auge zudrücken kann und gewisse Nachteile in Kauf nimmt. Hier werden einem baurechtlich und behördlich Steine in den Weg gelegt. 

Was schlagen Sie vor? 
Zilker:
Ich erwarte mir von der Politik mehr Commitment. Wenn man schon zu ökologischem, nachhaltigem Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen aufruft, dann muss dieser Aufruf auch auf Verwaltungsebene zu spüren sein. Doch das ist nicht der Fall. Die Politik fordert ein, was die Behörden verunmöglichen. 
Palfy: Dem schließe ich mich voll an. Ich persönlich habe mit den Behörden bei unserem Projekt HoHo nur gute Erfahrungen gemacht. Aber ich höre von vielen Kollegen und Kolleginnen, dass die rechtliche Situation den technischen Möglichkeiten und dem gesellschaftlichen Wollen stark hinterherhinkt. Es gibt noch zu viele Widerstände. 
Zilker: Interessant ist auch der Blick auf die Baulogistik: Ich sehe, dass wir bei unserem jüngsten Holzbau-Projekt, das sich gerade in Entwicklung befindet, an gewisse technische Grenzen stoßen – und zwar nicht im Bereich Produktion oder Holzverarbeitung, sondern auf der Baustelle. Die heutigen Kräne sind dazu gemacht, Lasten bis zu zehn Tonnen zu tragen. Ein großes Raummodul, das wir im Werk vorfertigen, bringt aber locker 12 bis 15 Tonnen pro Stück auf die Waage. Was tun? Hier müssen wir uns zwischen Planern, Produzenten und Bauindustrie noch besser abstimmen. 

»Ich finde historische Altbauten fürs Auge immer noch konkurrenzlos schön. Aber auf einer energetischen, atmosphärischen Ebene ist ein Holzhaus einfach unschlagbar.«

Caroline Palfy, Projektentwicklerin

Wenn man von Holzbau spricht, fällt irgendwann auch einmal das Thema Brandschutz. Wie schaut es da aus? 
Kairi:
In jedem Haus, egal, aus welchem Baustoff es beschaffen ist, kann es zu einem Brand kommen – und das passiert statistisch gesehen in Gebäuden aus Holz nicht öfter als bei anderen Materialien. Der Vorteil ist nur, dass man beim Holz ganz genau weiß, wie es sich in einem Brandfall verhält. Genau deswegen sage ich meinen Kunden: Ja, Holz brennt, aber das wird bei jedem Projekt exakt einkalkuliert, die Konstruktion wird mit einem entsprechenden Sicherheitspuffer ausgestattet. 

Wie wird das Brandverhalten kalkuliert? 
Kairi:
In erster Linie richtet man sich nach den Brandschutzbestimmungen des jeweiligen Landes. Manchmal sind diese noch nicht ausgereift, daher müssen eigene Tests und Brandversuche gemacht werden. Wir haben dafür eine eigene Forschungsabteilung, die sich nur mit Brandschutz beschäftigt. Mittlerweile haben wir weltweit sehr gute und sehr genaue Erfahrungswerte, die wir in die Planung entsprechend einfließen lassen können. 

In den Medien gab es zum Teil gehässige Kommentare und Karikaturen. Unter anderem wurde das HoHo als größte Zündholzschachtel der Welt bezeichnet. 
Palfy: 
Die Karikaturen waren schon sehr lustig! Wir haben die Leute mit dem HoHo ganz offensichtlich emotional bewegt und
zu einer öffentlichen Diskussion angeregt. Plötzlich haben auch junge Menschen über Holzbau nachgedacht und geredet. Mehr kann man sich nicht wünschen! 
Zilker: Auch ich habe das Gefühl, dass ökologisches Bauen vor allem bei den jungen Menschen gut ankommt und auf großes In­teresse stößt. 
Kairi: Das kann ich nur bestätigen. Jüngere Planer und Auftraggeber sind den neuen Innovationen und Technologien im Holzbausektor gegenüber – in Skandinavien bezeichnen wir das gerne als »Biophilic Design« – deutlich aufgeschlossener. 

Herr Zilker, Ihr Büro einszueins architektur hat sich schon vor einigen Jahren auf das Thema Holzbau fokussiert. Kam der Wunsch von Ihnen als Architekten oder von Ihren Bauherren und Baugruppen?
Zilker:
Sowohl als auch. Einerseits möchten wir als Architekten den Holzbau forcieren und weiterentwickeln. Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Bauherren und Baugruppen am Ende eines intensiven Diskussionsprozesses irgendwann einmal beim warmen, behaglichen, nachhaltigen Holz landen, ziemlich groß – ganz im Gegensatz zum anonymen Massenwohnbau, der in der Regel mit Stahlbeton errichtet wird. 

Bauen auch Sie in Beton?
Zilker:
Wir haben noch ein paar vereinzelte Projekte, die wir in Beton bauen, aber der reine Betonbau ist für uns ein Auslaufmodell. Das ist nur noch eine Frage der Zeit. Unsere Zukunft liegt ohne jeden Zweifel im Holzbau. 

»Ich erwarte mir von der Politik mehr Commitment. Wenn man schon zu ökologischem Bauen aufruft, dann muss dieser Aufruf auch auf Verwaltungsebene zu spüren sein.«

Markus Zilker, Architekt

Sowohl im HoHo als auch in Ihrem jüngsten Baugruppen-Projekt »Gleis 21« ist Holz sichtbar eingesetzt und trägt auf diese Weise zu einer unverwechselbaren Atmosphäre bei. Wie kommt Holz an Wänden und Decken denn bei den Mieterinnen und Mietern an?
Zilker: 
Die Projekte mit sichtbar belassenen Holzwänden und Holzdecken sind immer noch sehr selten und machen nicht einmal ein Promille der österreichischen Baumasse aus. Meine Erfahrung ist, dass die sichtbaren Holzoberflächen bei den Mieterinnen und Mietern sehr gut ankommen. Die Nachfrage nach Holzräumen ist weitaus größer als das Angebot. 
Palfy: Unsere Besucherinnen und Besucher lieben das HoHo! Bis jetzt haben sich alle durchwegs positiv dazu geäußert. Man muss nur von Anfang an klar kommunizieren, dass es nicht gerade förderlich ist, mitten in eine Holzwand ein Riesenloch zu bohren, um ein Bild aufzuhängen. 
Kairi: Natürlich ist es auch möglich, die Oberflächen mit Gipskarton-Platten oder anderen Werkstoffen zu verkleiden. Aber sinnvoll ist das nicht. Wir haben letztes Jahr 116 Studien aus aller Welt miteinander verglichen, und das Resultat ist verblüffend, denn die sehr unterschiedlichen Studien kamen in vielen Punkten zu ähnlichen Erkenntnissen. 

Und zwar? 
Kairi: 
Sichtbar belassene Holzoberflächen im Raum sorgen für niedrigeren Blutdruck und niedrigere Herzfrequenz, sie fördern die Konzentration und Kreativität, und nicht zuletzt wirken sie sich positiv auf Wohlbefinden und Gesundheit aus – in einem Holz­büro fallen die Krankenstandstage deutlich geringer aus. Wenn das keine Argumente sind! 

»Wenn man eine politische Vision hat, dann muss man sie auch auf Verwaltungsebene durchsetzen und die sehr strengen Bauvorschriften etwas lockern.«

Johanna Kairi, Holzproduzentin

Wo steht der Holzbau heute? 
Zilker:
Ich finde es beeindruckend, wie sich die Baubranche in verhältnismäßig kurzer Zeit miteinander vernetzt und hier eine Art kollektives Know-how geschaffen hat. Das Fachwissen im Bereich Holzbau ist heute echt gigantisch! 
Palfy: Und ich habe das Gefühl, dass wir alle interdisziplinär arbeiten. In der Stahl- oder Betonlobby erlebe ich so einen Zusammenhalt zwischen Auftraggebern, Archi­tekten und Industrie bei Weitem nicht. 
Kairi: Bei Stora Enso verlangen wir beispielsweise von jedem Lieferanten, dass er für jeden gefällten Baum ein bis zwei neue Bäume pflanzt. Das heißt, dass die Baubranche und Holzverarbeitungsindustrie hier sogar Auswirkungen auf das florale Ökosystem eines Nutzwaldes haben. 

Haben Sie ein Lieblingsholzgebäude? 
Zilker:
Mein Lieblingsgebäude ist wahrscheinlich der Aussichtsturm am Pyramidenkogel in Kärnten. Mit 100 Metern Höhe ist das der höchste Holzturm der Welt. Da spürt man, wie leistungsfähig Holz ist. Ich habe höchsten Respekt vor diesem Baustoff. 
Palfy: Ich denke gerne an ein altes Tiroler Bauernhaus. Ich liebe es, die Holzwände anzugreifen und die Struktur zu spüren, die Oberfläche zu riechen. 
Kairi: Eines meiner Lieblingsgebäude ist das neue Ilse-Wallentin-Seminarzentrum an der BOKU Wien. Ein tolles Haus mit gekonntem Einsatz von Holz. Da will man noch einmal Studentin sein! 

Abschlussfrage: Bis 2040 müssen wir den Green Deal erfolgreich in die Realität umsetzen. Was sind denn die drei wichtigsten Schritte, damit uns das gelingt? 
Zilker:
Erstens: Alle öffentlichen Bauten müssen in Holz errichtet werden. 
Palfy: Zweitens: Gleichstellung von Holz und allen anderen Baustoffen und Bauweisen. 
Kairi: Und drittens: Wenn man eine politische Vision hat, dann muss man sie auch auf Verwaltungsebene durchsetzen und die sehr strengen Bauvorschriften etwas lockern. 

»Der reine Betonbau ist für uns ein Auslaufmodell. Unsere Zukunft liegt ohne jeden Zweifel im Holzbau.«

Markus Zilker, Architekt

Die LIVING-Salon-Gesprächspartner

Caroline Palfy (41) absolvierte das HTL-Kolleg, arbeitete in verschiedenen Architekturbüros und ist seit 2004 in der Immobilienbranche tätig – zunächst bei Conwert, heute als Projektentwicklerin in der Kerbler-Gruppe sowie als Geschäftsführerin der Cetus Baudevelopment GmbH, die in der Seestadt Aspern das 84 Meter hohe Holzhochhaus HoHo errichtete. cetus.at, hoho-wien.at

Johanna Kairi (47) studierte Holztechnologie in Helsinki und war bei Stora Enso Wood Products im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation tätig. Seit 2016 leitet sie den Bereich Business Development Österreich. Das finnisch-schwedische Forstunternehmen besitzt Wälder in Skandinavien und Werke in ganz Europa und ist der größte Sägewerkproduzent Österreichs. storaenso.com

Markus Zilker (45) studierte Architektur in Wien und Sevilla und gründete 2006 gemeinsam mit Katharina Bayer das Büro einszueins architektur, das sich auf Wohnbau, Baugruppen und partizipative Planungs- und Entwicklungsprojekte spezialisiert hat. 2014 wurde das Büro
mit dem Österreichischen Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausge-zeichnet. einszueins.at

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