© Lars Borges

LIVING-Interview: Der Pritzker-Preisträger Diébédo Francis Kéré

Schon seit 1979 wird der renommierte Pritzker-Preis vergeben. Der diesjährige Laureat ist Diébédo Francis Kéré, der in Burkina Faso aufgewachsen ist und nun ein international agierendes Büro in Berlin betreibt. Ende Mai wurde ihm der Preis in London überreicht. Das LIVING-Interview.

23.06.2022 - By Wojciech Czaja

LIVING Was war Ihre erste Reaktion, als Sie vom Preis erfahren haben?

Diébédo Francis Kéré Manuela Lucá-Dazio, Direktorin des Pritzker-Preises, hat mich angerufen – ich war gerade in einem Hotel in Benin – und hat etwas von einem Preis erzählt. Die telefonische Verbindung war nicht besonders gut. Doch irgendwann habe ich die Wortfetzen wie Puzzlestücke zusammenklauben können: Pritzker, Preis, 2022, Jury, Auswahl, Freude, Gratulation. Ich habe auf der Stelle losgeweint.

Sie sind in Burkina Faso als ältester Sohn eines Häuptlings aufgewachsen. Wie war Ihre -Kindheit?

Als ich sechs, sieben Jahre alt war, haben mein Vater und meine Mutter beschlossen, mich zur Schule zu schicken. Sie hatten einen sehr praktischen Grund, denn es gab bis dahin niemanden in der Familie, der lesen und schreiben konnte, und das war ein großes Problem, denn offizielle Briefe kamen zwar das ganze Jahr über bei uns an, aber die Vorleser, die uns regelmäßig besucht haben, kamen nur in der trockenen Jahreszeit. In der Regenzeit sind die Briefe lange liegen geblieben.

Wie unter einem Baum Der Serpentine Pavilion in London (2017) orientiert sich an den sogenannten Palaverbäumen in Afrika, in deren Schatten die Leute zusammenkommen, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Statt eines Baumstamms gibt es ein großes Loch in der Mitte. Bei Regen prasselt hier das Wasser herab. serpentinegalleries.org

© Iwan Baan

Globetrotter zwischen zwei Kontinenten Diébédo Francis Kéré leitet ein Büro mit 20 Mitarbeiter:innen in Berlin und betreut von dort aus Projekte in Ost- und Westafrika. kerearchitecture.com

© Anna Watson
»In gewisser Hinsicht sind große Teile von Afrika für einen Architekten ein Schlaraffenland.« – Diébédo Francis Kéré ,Architekt und Pritzker-Preisträger 2022

Pläne für das neue Parlament 2015 erstellte Kéré eine Konzeptstudie für die neue Burkina Faso National Assembly in der Hauptstadt Ouagadougou. Ein elementarer Bestandteil davon ist der beschattete Vorplatz.

© Kéré Architecture

Wie schaffen Sie es, diese großen Projekte von Deutschland aus zu leiten?

Zum einen bin ich selbst viel auf den Bau-stellen unterwegs, zum anderen bemühen wir uns immer sehr, vor jedem Projekt ein paar Handwerker und Fachleute vor Ort auszubilden und mit ihnen eine Art Crashkurs für bestimmte Bauweisen oder technische Details zu machen. Das funktioniert eigentlich sehr gut.

Ein Phänomen in vielen afrikanischen Ländern ist das sogenannte Leapfrogging. ­Bestimmte technische bzw. digitale Entwicklungsstufen werden einfach übersprungen. Können Sie das bestätigen?

Oh ja! Das mit Abstand häufigste Kommunikationsmittel auf der Baustelle ist WhatsApp. Wir kommunizieren fast ausschließlich über Fotos, digitale Pläne und Short Messages – und zwar nicht nur mit den Auftraggebern und Projektleitern, sondern in der Regel auch mit den Bauarbeitern, die am Bau beteiligt sind. Das erleichtert vieles!

»Der Pritzker-Preis ist für mich einerseits eine persönliche Genugtuung, andererseits eine gewaltige Anerkennung für die Arbeit, die ich mit meinen Leuten seit über 20 Jahren leiste. Ich kann es noch immer nicht fassen.« – Diébédo Francis Kéré 

Neben dem Holzweg Umgeben von Zitterpappeln schuf Diébédo Francis Kéré für das Tippet Rise Art Centre im US-Bundesstaat Montana diesen hölzernen Pavillon unter dem Titel »Xylem«. Parkbesucher:innen und Wander:innen sollen sich hier ausruhen können. tippetrise.org

© Iwan Baan

Wie empfinden Sie den afrikanischen Markt in architektonischer Hinsicht?

In gewisser Hinsicht sind große Teile von Afrika für einen Architekten ein Schlaraffenland. Es gibt einen immens hohen Wohnraumbedarf und einen so dringlichen Bedarf nach Schulen und Krankenhäusern, dass man mit ein paar guten, skalierbaren, multiplizierbaren Projekten schon viel erreichen kann.

2010 haben Sie gemeinsam mit dem deutschen Film- und Theaterregisseur Christoph Schlingensief begonnen, ein Operndorf in ­Burkina Faso zu bauen. Wie weit ist das ­Projekt heute?

Das Operndorf basiert auf den drei Säulen Kultur, Bildung und Gesundheit. Die Schule haben wir in der ersten Projektphase errichtet, in der zweiten Phase haben wir eine Krankenstation mit Ambulanz, Apotheke, Zahnklinik und Geburtenstation aufgebaut. Und die dritte Projektphase – eine Art Festspielhaus als multifunktionales Bauwerk – ist nun in Planung. Es ist ein tolles Projekt. Ich freue mich auf die Fertigstellung! Schade, dass Christoph das nicht mehr erleben kann.

Schulen und Sponsoren Einer der Schwerpunkte des Berliner Architekten ist Schulbau in Afrika. Finanziert werden diese Projekte über die Kéré Foundation. Im Bild: Lycée Schorge Secondary School in Koudougou, Burkina Faso. kerefoundation.com

© Iwan Baan

Wie werden denn solche Projekte wie etwa Bildungsbauten und Gesundheitseinrichtungen finanziert?

In der Regel suchen wir aktiv nach Sponsor:innen – sowohl nach Privatpersonen als auch nach Institutionen und Privatunternehmen. Außerdem haben wir eine eigene Stiftung, die sogenannte Kéré Foundation. Ziel dieser Stiftung ist, Gelder für den Bau und den Betrieb dringend benötigter Einrichtungen in Afrika zu lukrieren. In der Tat kommt auf diese Weise jedes Jahr eine ­schöne, wichtige Summe zustande.

Gibt es ein Projekt, das Sie gern einmal bauen möchten?

Ich plane bereits Schulen, Krankenhäuser, Community-Buildings und jetzt sogar ein Parlamentsgebäude in Benin! Nein, meine Traumprojekte sind alle schon in Planung und in Bau.

Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft?

Natürlich! Ich wünsche mir, dass ich fit bleibe, weiterhin inneren Frieden finde und mir meine Kraft, Energie und Inspiration behalte, um Projekte zu realisieren, die die Menschen glücklich machen. Ich gehe in meinen Projekten auf. Und die Menschen, für die ich plane, erfreulicherweise ebenso. Das ist eine mindestens genauso schöne Genugtuung wie der Pritzker-Preis.

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