Kuratorin Sozita Goudouna im LIVING Interview
Die Kuratorin Sozita Goudouna wuchs in Athen auf und lebt heute in New York. Ihrer Heimat ist sie noch immer eng verbunden. Im Interview erklärt sie, wie die Kunst in Athen trotz aller Krisen aufblüht.
30 . Mai 2020 - By Maik Novotny
LIVING: Athen wird heute von vielen als das »neue Berlin« bezeichnet. Trifft diese Beschreibung zu?
Sozita Goudouna: Athen hat eine vielseitige kulturelle Identität und viel Energie und Potenzial. Dieses begann sich in den 90er-Jahren zu entfalten, als die bildende Kunst das Theater und den Tanz als kulturelle Vorreiter ablöste. Einige bahnbrechende Ausstellungen waren für meine Generation geradezu monumental. Diese Entwicklung gipfelte dann in der documenta 14 und ist keineswegs nur oberflächlicher Fake-Lifestyle, sondern eine echte kulturelle Renaissance. Insofern ist der Titel »neues Berlin« gerechtfertigt. Anders als Berlin hatte Athen jedoch lange keine Institution für zeitgenössische Kultur, es war alles von privaten Initiativen abhängig. Das änderte sich mit dem Nationalen Museum für zeitgenössische Kunst (EMST), das 2000 in einer ehemaligen Fabrik startete und kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie sein eigenes Gebäude bezog. Die Biennale für zeitgenössische Kunst leistet seit 2005 viel Unterstützung für junge, experimentelle Galerien, und die internationale Kunstmesse bietet ein Panorama all dieser Initiativen.
Sie waren selbst als Kuratorin an der documenta 14 beteiligt. Welche Auswirkungen hatte dieses Großevent auf die Kunstszene in Athen?
Sie hatte kurzfristige und langfristige Auswirkungen, die wir erst langsam begreifen. Sie hat unsere Denkweise grundlegend verändert. Damals wurde kritisiert, dass die lokale Kunstszene nicht involviert war, aber niemand konnte erwarten, dass die documenta die gesamte Szene abbildet – das kann sie nur in Fragmenten. Und heute kann die Szene viel selbstbewusster als Teil des globalen Netzwerks agieren.