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Sie ist nicht nur die Food-Hauptstadt Frankreichs, sie bietet auch ein vielgängiges Kunstmenü. Zwischen Flüssen und Hügeln lassen sich in Lyon, dieser so reichen wie produktiven Stadt, Museen und Galerien der Sonderklasse aufspüren.

28.05.2023 - By Maik Novotny

Wem die kleine Krone der »zweiten Stadt« neben Paris gebührt, darüber streiten sich Lyon und Marseille seit praktisch immer. Sollen sie ruhig, denn für uns ergeben diese Anstrengungen hier wie dort ein enormes kulturelles Kapital, das man ganz wettbewerbsfähig genießen kann. Kulinarisch hat die Paul-Bocuse-Metropole Lyon die Nase vorn, doch auch die Kunst ist hier oben mit dabei. Schließlich besetzte die Stadt schon zu -Römerzeiten eine Schlüsselstelle Europas zwischen Kontinent und Mittelmeer. Davon zeugt das Amphitheater am Hügel Fourvière, während der Berg gegenüber mit seinen steilen Gassen vom Reichtum der Textil-industrie erzählt. Heute finden sich hier viele Galerien in den Straßen und Street-Art an vielen Wänden. Aber auch am topografisch tiefsten Ende Lyons wurde kulturell ein Ausrufezeichen gesetzt. Die Wiener Architekten von Coop Himmelb(l)au durften mit dem Musée des Confluences die Landspitze zwischen Rhône und Saône mit expressiver Geste besetzen und damit auch den Startschuss für die Belebung eines industriellen und unwirtlichen Stadtviertels geben. Lyon war immer eine Stadt des Machens, des Handwerks und der Produktion, sie ist auch heute stets in Bewegung. So wie die Flüsse, die die Metropole durchqueren.

FREITAG

Zwar ist die bildende Kunst hier nicht das Hauptprogramm, doch im Grunde ist das ­spektakulärste Museum Lyons selbst eine zeitgenössische Skulptur. Coop Himmelb(l)au verwirbelten den Zusammenfluss von Rhône und Saône in eine wilde Wolke aus Stahl, Glas und Beton. Die Ausstellungen zur Naturgeschichte sind so gut gestaltet, dass sich Kinder und Erwachsene gleichermaßen begeistern, immer wieder wird auch der Dialog der Wissenschaft mit der Kunst gesucht. Seine Rolle als Besucher:innenmagnet an bislang ignorierter Stelle erfüllt das Museum perfekt.

PLAKATIVER MIX

Von hier nach Norden ins Zentrum der Stadt, wo an der Place des Terreaux das Musée des Beaux-Arts den ältesten Kunstfixpunkt Lyons markiert. Als Kontrast dazu in den steilen Gassen des Viertels Croix-Rousse die 2009 gegründete Kunstinitiative Spacejunk Art Centers. Diese fördert und feiert die Street-Art und bietet Touren zu den Wandmalereien der Stadt an. Auch die Ausstellungen sind ein plakativer Mix von afrikanischer Kunst bis zu NFT und Blockchain.

Eine sehr französische Gründungsgeschichte erzählt die am Ufer der Saône gelegene Galerie La BF15. Getauft wurde sie im Zuge eines Abendessens in einem verrauchten Restaurant 1995, der Name bezeichnet eine besonders edle Kartoffel. Diese Kombination aus Hedonismus und Spontaneität kennzeichnet La BF15 bis heute, und auch auf klamme Budgets und einen Brand, der das Archiv zerstörte, regierte man mit fröhlichem »Jetzt erst recht«. Perfekter Nähr­boden für viele Künstler:innen, von denen nicht wenige von hier den Sprung auf die Bühnen von London oder Berlin schafften.

Musée des Confluences, Marc Riboud, bis 31. 12. 2023, museedesconfluences.fr

Spacejunk Lyon, Shepard Fairey, bis 9. 7. 2023 (im Musée Guimet), spacejunk.tv

La BF15, Avril, bis 27. 5. 2023, labf15.org

Unten am Fluss Das Musée des Confluences markiert die Südspitze der Halbinsel zwischen Rhône und Saône und holt das ehemalige Industriegebiet zurück in die Stadt.

© Jean-Pierre Poupon

Kunst-Kulinarik Typisch Frankreich: Die Galerie La BF15 benannte sich nach einer geschmacksintensiven Kartoffelsorte.

© LA BF15

SAMSTAG

Die lange überfällige zeitgenössische Ergänzung zum altehrwürdigen Musée des Beaux-Arts und seiner Schatztruhe an ­alten Meistern bekam Lyon 1995 mit dem Musée d’art contemporain (MAC). ­Zwischen ­Rhône-Ufer und Park in einem Neubau von Renzo Piano angesiedelt, umfasst die Sammlung des MAC heute rund 1.500 Werke und ist zweifellos die erste ­Adresse für Gegenwartskunst. Finanziert wird es vor allem von der Stadt selbst und ist zudem der Schauplatz der Biennale de Lyon, eines etablierten Magneten für ­Europas Kunstwelt.

KUNST-RAUM-MODUL

Wir bleiben am Ostufer der Rhône, wo sich zwischen Bürotürmen und Stadtvierteln des 19. Jahrhunderts immer wieder kleine Galerien finden, so zum Beispiel die ­Galerie Roger Tator. Diese spezialisiert sich auf die Schnittmenge zwischen Kunst, ­Design und Architektur, daher sind Installationen hier eine Spezialität. Für ihre ­Artists in ­Residence betreibt die Galerie die sogenannte »Factatory«, ein schickes Raum­modul, das ihnen als Atelier dient und an verschiedenen Orten der Stadt ­aufgestellt werden kann. Also Augen auf!

Direkt an der großen Place Bellecour im Zentrum warten die Räume der Fondation Bullukian auf uns. Die franko-armenische Stiftung gibt es bereits seit Jahrzehnten, ihr Schauraum für die Kunst kam später dazu, basierend auf der Kunstsammlung des ­Stiftungsgründers Napoléon Bullukian (1905–84). Hier wird der interkulturelle ­Dialog intensiviert und immer wieder mit den großen Museen der Stadt kooperiert, ein besonderes Augenmerk gilt der Jugend, die mit den Ateliers Bullu’kids spielerisch an die Kunst herangeführt wird.

MAC Lyon, Nathalie Djurberg & Hans Berg, bis 9. 7. 2023, mac-lyon.com

Galerie Roger Tator, Sprinkle Water on the Web, bis 26. 5. 2023, rogertator.com

Fondation Bullukian, À pleins poumons, bis 15. 7. 2023, bullukian.com

Den Hof machen Das Centre d’art der Fondation Bullukian ist mitten im Zentrum von Lyon gelegen.

© Fondation Bullukian

Taktiles Textil Hannah Waldrons Ausstellung »Sprinkle Water on the Web« in der Galerie Tator.

© Galerie Tator

SONNTAG

Sie werden es an den ersten beiden Tagen vielleicht schon bemerkt haben: Lyon ist trotz seiner prachtvollen Stadtsubstanz alles andere als ein Freilichtmuseum. Hier hat man stets mehr nach vorne geschaut als zurück, und ein Zeichen dafür findet sich gleich hinter der Stadtgrenze, in Villeurbanne. Hier wurde in den 1930er-Jahren eine Art weißes Manhattan erbaut, mit zwei Wolkenkratzern, den Gratte-ciels, als Symbol für den Aufbruch in die ­Zukunft. Der Planungsidee des visionären ­Architekten Tony Garnier ist hier eine Freiluftausstellung, das Musée urbain Tony Garnier, gewidmet. 

AM PULS DER ZUKUNFT

Das heute immer noch wie neu wirkende ­Villeurbanne ist auch der ideale Ort für das Institut d’art contemporain, dessen Kunstsammlung Werke von Daniel Buren, Anish Kapoor und Gerhard Richter umfasst. Neben diesen Schätzen und einer Programmschiene für junge Kunst sind auch die Wechselausstellungen hier von einer Qualität, die hinter dem MAC nicht zurücksteht. Auch das IAC ist an der Lyon Biennale beteiligt und kooperiert mit verschiedenen Kunsthochschulen und bleibt so immer am Puls der Zukunft.

Zum Abschluss des Wochenendes gehen wir auf eine ganz besondere Reise, nämlich in den Untergrund des Lyoner Verkehrs. Ja, richtig gelesen: Das Musée souterrain wurde von der Gesellschaft Lyon Parc Auto eingerichtet, die die Parkhäuser der Stadt betreibt. Dem hier noch sehr präsenten Autoverkehr wird so etwas kulturelle Schadensbegrenzung abgerungen, und die Hallen aus Beton werden plötzlich zu inszenierten Kathedralen. Ein Kunsttrip der ganz speziellen Art – ­typisch Lyon eben.

Institut d’Art Contemporain, VIlleurbanne Camille Llobet, bis 28. 5. 2023 i-ac.eu

Musée Urbain Tony Garnier, Dauerausstellung, museeurbaintonygarnier.com

Musée Souterrain LPA, Dauerausstellung, lpa.fr

Tiefer Tunnel Das Musée souterrain in einem Parkhaus der LPA.

© G. Perret

Kunst-Gewächs-Haus Das Institut d’art contemporain (IAC) in Villeurbanne bei Lyon.

© beigestellt

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 03/2023

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