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Viel wird dieser Tage über Energie und ihre Kosten geredet. Internationale Leuchtturmprojekte zeigen jetzt schon, wie man dank architektonischer und technologischer Innovation klug sparen kann. Gut fürs Klima und den Geldbeutel, und schön sieht es auch aus.

14.12.2022 - By Maik Novotny

Die Zahlen auf den Rechnungen, die in diesem Herbst ins Haus flattern, sind für viele ein Schock, die Energiekrise ist in aller Munde und in allen Schlagzeilen. Ein Alarmsignal, aber auch ein Weckruf, endlich die Energiewende anzugehen. Lösungen gibt es nämlich. Gerade die Architektur hat sich in den letzten Jahren genau darum gekümmert und an neuen Konzepten und neuen Energiegemeinschaften gearbeitet.

FutureBuilt (NOR) Das Haus in der Karl August Gate in Oslo ist nicht nur Firmensitz von FutureBuilt, sondern auch ein Innovationslabor, das zu 80 Prozent aus wiederverwerteten Materialien besteht: Stahlträgern, Betonfertigteilen, Lüftung, Fenstern, Teppichen, WC-Fliesen. Das Ergebnis war eine Reduktion der CO2 -Emissionen um ca. 70 Prozent. futurebuilt.no

HOFFNUNGSSCHIMMER IM KELLER

Einer dieser energetischen Hoffnungsschimmer glimmt im Untergeschoß eines Gründerzeitblocks in Wien-Hernals. Ein meterdickes Bündel aus Kabeln und Rohren durchstößt das Gewölbe wie die Finger eines Techno-Aliens: eine Ringleitung, die die benachbarten Häuser zu einem neuen Ganzen verbindet. Sie macht den Smart Block Geblergasse zur Energiegemeinschaft. Ein ganzer Block wird so dank eines dezentralen Energienetzes autark. »Damit haben wir erstmals im gründerzeitlichen Bestand liegenschaftsübergreifend Geothermie angewandt,« sagt Architekt Johannes Zeininger, der das Projekt entwickelt hat. »Im Winter entnehmen wir Erdwärme, im Sommer schicken wir die gleiche Menge Wärme, die wir über Solarkollektoren gewinnen, wieder retour und nützen dabei die Kälte des Erdreichs zum Kühlen.« Zu den Energiequellen zählen Fernwärmeanschluss sowie Solarmatten und Hybridkollektoren auf dem Dach.

2000-Watt-Areal (CH) Heute verbraucht jeder Mensch in der Schweiz mehr als doppelt so viel Energie, wie es ökologisch verträglich ist. Die weltweiten Energiereserven lassen allerdings nur einen Pro-Kopf-Verbrauch von 2000 Watt zu. Das Hunziker Areal in Zürich setzt die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft erfolgreich um. Ein Ökoquartier, das Energie spart. mehralswohnen.ch

Ein zweites Wiener Pilotprojekt befindet sich am grünen Stadtrand. Die Wohnanlage MGG22 an der Mühlgrundgasse ist die erste, die im sozialen Wohnbau thermische Bauteilaktivierung (TBA) einsetzt. Die Wärme für Beheizung und Warmwasser wird über Sole/Wasser-Wärmepumpen in Verbindung mit Erdwärme-Tiefensonden erzeugt. Für die Heizung wird die Erdwärme mit Hilfe einer Wärmepumpe auf ein höheres Temperaturniveau gebracht, zum Kühlen wird Wärme ins Erdreich eingebracht. Als Bonus können die Geschoßdecken auch als Energiespeicher für Windüberschussstrom genutzt werden. »Da die enormen Überschüsse aus Solarund Windstrom nicht regelbar sind und zur Netzstabilitätssicherung zeitweise vom Netz genommen werden müssen, gilt es, den Stromverbrauch zu flexibilisieren. Damit ist ein Paradigmenwechsel von der verbrauchsabhängigen Erzeugung hin zu einer angebotsorientierten Nutzung von Energie verbunden«, sagt Architekt Norbert Mayr, der die Anlage gemeinsam mit der Wohnbaugesellschaft Neues Leben entwickelt hat.

Emmenweid (CH) Mit dem 2226, ihrem Firmensitz in Lustenau, sorgten Baumschlager Eberle Architekten 2013 für Aufsehen: Ein Gebäude von berückender Einfachheit, das ohne Klimatechnik auskommt, mit einer konstanten Innenraumtemperatur zwischen 22 und 26 Grad. Auch das 2226 in Emmenweid bei Luzern setzt dieses erfolgreiche Konzept um. baumschlager-eberle.com

SKANDINAVISCHE LEUCHTTÜRME

Über einzelne Leuchttürme hinaus wurden Zertifizierungen und Anreize entwickelt, die für Innovation beim energiesparenden Bauen sorgen. Ein solches System ist seit zwölf Jahren in Oslo im Einsatz: FutureBuilt wurde 2010 als kleines Start-up gegründet, heute arbeitet das Team mit der Stadt Oslo und mehreren Kommunen im Umkreis zusammen, beeindruckende 75 Projekte sind schon im Portfolio. »Wir glauben an die Kraft des guten Vorbilds« sagt FutureBuilt-Gründer Stein Stoknes. »Wir wollen die Bauindustrie verändern. Dabei geht es um Klima und Nachhaltigkeit, aber immer auch um die Qualität. Es muss immer besser sein als das, was wir heute haben.« Das erreicht FutureBuilt mit einem Kriterienkatalog, der für Investoren mehrere Anreize bietet. Zum einen können sie sich als innovative Unternehmen profilieren, zum anderen belohnen Kommunen sie mit beschleunigten Baugenehmigungen. Als Gegenleistung müssen ökologische Benefits wie CO2-Einsparung oder Mobilitätskonzepte nachgewiesen werden. Die Einhaltung wird zwei Jahre nach Fertigstellung mittels eines Monitoringsystems geprüft.

MGG.22 (AUT) Ein kleines Wohnquartier am Mühlwasser in Wien, dessen energetische Innovation in der Substanz und im Boden steckt. Tiefe Erdsonden und thermische Bauteilaktivierung in den Betondecken heizen und kühlen hier autark und ganz unabhängig von transnationalen Pipelines. mgg22.at

Ein weiterer skandinavischer Leuchtturm strahlt in Dänemark. Die Wohnanlage »Resource Rows« im Kopenhagener Stadtteil Ørestad trägt ihre Ambition schon im Namen. Geplant von den Nachhaltigkeitsexperten Lendager Group, wurde die Fassade aus wiederverwerteten Elementen – Ziegel, Holz, Fenster – zusammengesetzt. Insgesamt zehn Prozent aller Materialien wurden wiederverwertet, dadurch konnten 29 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden. Jetzt, sind sich Architekt:innen einig, liegt der Ball bei der Bauindustrie, die diese Ideen mit Energie umsetzen muss.

Resource Rows (NL) Am Anfang stand die Frage: »Was, wenn wir unsere Gebäude einfach mitnehmen können?« Genau das kam hier bei der Wohnsiedlung Resource Rows in Kopenhagen zur Anwendung: ein Patchwork aus ein mal ein Meter großen Fassadentafeln, die aus anderen Bauten geschnitten wurden. Bau-Recycling im großen Maßstab. lendager.com

Erschienen im Falstaff LIVING Residences 02/2022

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