Babeth Albert

Interview mit Architektin und Designerin Victoria Yakusha

Ihre Objekte wirken organisch, pur und modern. Dabei ist die Architektin und Designerin Victoria Yakusha tief verwurzelt in den Handwerkstraditionen ihrer Heimat – und hat der Ukraine eine neue, markante Stimme in der internationalen Designwelt gegeben.

30.03.2021 - By Uwe Killing

»Faina« ist in der ukrainischen Sprache ein mehrdeutig besetztes Wort. Es beschreibt »freundliche« Menschen genauso wie »gute« oder auch »schöne« Dinge. Genau diese positive Durchlässigkeit wollte Victoria Yakusha zum Ausdruck bringen, als sie im Jahr 2014 ihr gleichnamiges Produktdesign-Label gründete. Damit einher ging eine steigende internationale Bekanntheit, nachdem sich die 38-Jährige zuvor in ihrer Heimat als Architektin und Interior-Designerin bereits einen Namen gemacht hatte. Yakusha hat es geschafft, ukrainisches Handwerk und traditionelles Dekor in ein klares, von der Natur inspiriertes und innovatives Design zu transformieren. Ihre Sitzmöbel, Lampen und Wohn-Accessoires erregen in Design Stores in ganz ­Europa Aufmerksamkeit und wurden vielfach ausgezeichnet (unter anderem mit dem International Industrial Design Award).

LIVING: Warum haben Sie für Ihr Label den Namen »Faina« gewählt?
Victoria Yakusha: Er ist authentisch, und ich greife auch bei meinen Produktnamen stets ukrainische Wörter auf. Die tiefe Verbundenheit mit den Wurzeln meines Heimatlands soll sich auf allen Ebenen widerspiegeln – von der Bezeichnung über das Material bis hin zu traditionellen Techniken. Das ist eine untrennbare Einheit. »Faina« fiel mir während einer Autofahrt ein. Diese Momente des Alleinseins sind für mich als vierfache Mutter sehr kostbar. Und es kommen mir da gute Ideen. 

Warum sind Sie Architektin geworden? 
Architektur ist eine bestimmte Art zu denken, die Welt in Formen, Volumen und Anordnungen zu erfassen. Diesen Blick habe ich ganz früh gespürt – und auch, dass es meine Mission ist. 

Hatten Sie anfangs Vorbilder? 
Frank Lloyd Wright und Tadao Andō. Ich bewundere diese beide Architekten bis heute.

Bewegen Sie sich in Räumen oder im Raum?
Mit Vorliebe im leeren Raum.

Was steht bei Ihnen am Anfang eines Bauwerks? 
Es beginnt mit dem Besuch am geplanten Standort des Gebäudes. Um die Umgebung zu fühlen und zu verstehen, entscheiden zu können, welche Elemente auf organische Weise am besten zur Natur des Orts passen. Ausgangspunkt ist die Erde, aus der alles Leben erwächst.

Erinnern Sie sich an einen Moment, als Sie erstmals die Schönheit und das Wesen von Dingen realisierten?
Es kommen mir viele solcher Wow-Erlebnisse in den Sinn. Sie haben meistens mit etwas Althergebrachtem und Handwerklichem zu tun. Wie zum Beispiel eine Stickerei. Deren Schönheit entsteht nicht nur aus dem, was man sieht, sondern auch durch die Arbeit, Energie und die Geschichten, die dahinter zu spüren sind. In früheren Zeiten haben die Menschen in der Ukraine originelle Handwerkstechniken beherrscht und ihr Zuhause mit großer Kunstfertigkeit ausgeschmückt. In der langen Ära der Zugehörigkeit zur Sowjetunion ist diese Tradition leider verkümmert und unterdrückt worden. Ich möchte helfen, dass dieses wertvolle kulturelle Erbe wiederentdeckt und für die nächsten Generationen bewahrt wird. 

Wie drücken sich Ihre Bodenständigkeit und Traditionsliebe in Ihren Objekten aus? 
Im Interior Design und der Architektur zeigt es sich in der Verwendung lokaler Materialien wie Lehm, Stroh oder Wolle. Die Wände von ukrainischen Häusern  – »hata« genannt – sind in früheren Zeiten mit Lehm verputzt worden. Dieses Verfahren wird beispielsweise auch bei unseren Apartment-Projekten herangezogen. Im Produkt-Design haben wir ein ganz eigenes, nachhaltiges Material entwickelt, basierend auf recyceltem Papier, Lehm und anderen natürlichen Komponenten. In einem Stuhl, Tisch oder in einer Lampe von »Faina« schwingt immer auch die Geschichte der Ukraine mit, indem alte Symbole in einem neuen, modernen Kontext aufgehen.

Können Sie Beispiele nennen?
Die Idee für die große Bodenvase »Trembita« basiert auf einem in der ukrainischen Folklore tief verwurzelten, extrem langen Horn aus Naturholz. Mit den Formen meiner Polstermöbel-Serie »Pampukh« verbinde ich ein bei uns sehr beliebtes Brötchen, das traditionell im Steinofen gebacken wird. Ich bin eine sehr stolze Ukrainerin.

Wie wichtig ist es für Sie, im kreativen Prozess das verwendete Material zu spüren?
Die Energie muss sich übertragen. Das ist das Entscheidende. Beim Label »Faina« kooperieren wir eng mit lokalen Handwerkern und kreieren gemeinsam ein »Live Design«, wie ich es gerne nenne. Dabei ist die Natur unser wichtigster Lehrer und Teamgefährte. Ob Architektur, Interior Design oder Möbel – bei all unseren Projekten spüre ich auch eine geheimnisvolle Verbindung zwischen dem heutigen Bedürfnis nach substanzieller, nachhaltiger Lebensweise und dem Naturempfinden unserer Ahnen. 

Sehen Sie bei Ihrem puristischen Design eine Verwandtschaft zum Minimalismus skandinavischer Prägung?
In der Reduktion aufs Wesentliche und der Naturverbundenheit sehe ich durchaus Parallelen. Doch gleichzeitig ist meine Design-Philosophie reich an Seele und der Energie, die aus natürlichen Materialien strömt. Und jedes meiner Objekte erzählt eine eigene Geschichte, so hoffe ich jedenfalls. Wir Ukrainer haben zweifelsohne diese Neigung zur Einfachheit und auch zur Lakonie, wir sind aber zugleich sehr emotional. Ich würde sagen, wir liegen irgendwo zwischen den Skandinaviern und den Italienern. 

Wie möchten Sie Ihre Arbeit in die Welt bringen? Expandieren Sie weiter?
Im vergangenen Jahr haben wir unsere Galerie in Brüssel eröffnet. Interessenten können dort via Mail oder Instagram jederzeit einen Besuch vereinbaren. Dieser Standort ist ein Anfang. Es gibt weitere Pläne für andere Märkte, vor allem auch für die USA.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 02/2021

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