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Immobilienprojekte: Von wilden Gärten und Mannerschnittentürmen

Die europäische Stadt ist ein Kosmos mit maximaler sozialer Durchmischung. Auch die Wohnbauträger bemühen sich, in ihren Projekten mehrere Typologien und Wohnrechts­formen miteinander zu kombinieren. Bei großen Projekten ist die Melange aus Miete und Eigentum, aus gefördert und freifinanziert nicht mehr wegzudenken.

14.05.2021 - By Wojciech Czaja

Die durchmischte Stadt ist eines der größten Qualitätsmerkmale der gewachsenen europäischen Metropole: Wohnwidmung neben alteingesessenen Handwerksbetrieben, Schuster, Zahnarzt und Rechtsanwaltskanzlei unter einem gründerzeitlichen Dach, und innerhalb der Quartiere, Straßenblocks und sogar einzelnen Wohngebäude eine soziale Durchmischung von Jung und Alt, von Arm und Reich, von hüben und drüben. Leider hat die Moderne mit ihrer hoch zelebrierten Funktionstrennung der multifunktionalen Stadt einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die heutige politische Flächenwidmungs­praxis, die dramatisch steigenden Grundstückskosten sowie die strengen gesetzlichen Vorgaben zu Finanzierung, Verwertung und Verwaltung tun ihr Übriges. 

»Wenn man als Bauträger mehrere Funktionen und Wohnrechtsformen wie etwa Förderung, Freifinanzierung, Miete, Eigentum und Miete mit Kaufoption in einem Projekt vereinen will, was eigentlich unserem Verständnis der lebendigen Stadt entspricht«, sagt Martin Gruber, »dann hat man allerhand rechtliche und verwaltungstechnische Hürden zu bewältigen.« Seit 30 Jahren ist Gruber im Geschäft, er ist langjähriger Mitarbeiter der Mobilen Gebietsbetreuung und Autor zahlreicher Publikationen zu den Themen Wohnrecht, Hausverwaltung, Mietrechtsgesetz (MRG), Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) und Wohnungseigentumsgesetz (WEG). 

»Die Materie wird zunehmend unübersichtlicher«, so Gruber. »Zwar gab es in den Regierungsprogrammen der letzten fünf Regierungen das Versprechen, das längst veraltete MRG zu vereinfachen und zu über­arbeiten, und auch das WEG braucht dringend eine Novellierung – doch bislang ist nichts geschehen.« Umso erstaunlicher, dass am Wiener Markt immer wieder überaus heterogen zusammengewürfelte Projektentwicklungen zu finden sind, die sich auch ohne längst überfällige Rechtsrevolution um maximalmögliche Durchmischung bemühen – ob das nun im Wildgarten, auf den Siemensäckern oder auf dem Areal des ehemaligen Sophienspitals in der Apollogasse ist. 

»Leistbarkeit und soziale Durchmischung zählen zu den wichtigsten Aufgaben der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft«, sagt Michael Gehbauer, Geschäftsführer der gemeinnützigen Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA). »Aber natürlich müssen wir in manchen Häusern, die wir in teuren Lagen errichten oder die aufgrund ihrer Bauweise höhere Baukosten mit sich ziehen, entsprechende Lösungen finden, um leistbare und preislich gehobene Wohnformen zu vereinen und miteinander zu kombinieren.« 

»Leistbarkeit und soziale Durchmischung zählen zu den wichtigsten Aufgaben der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft.«

Michael Gehbauer, Geschäftsführer der gemeinnützigen Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA)

Ein Beispiel dafür ist The One in St. Marx. Direkt neben der Autobahnauffahrt auf die Südosttangente wird in den nächsten Jahren ein 38-stöckiger Wohnturm mit 126 Metern Höhe und 402 Wohnungen in den Himmel wachsen. In den unteren 17 Stockwerken entstehen 178 preisgünstigere Mietwohnungen mit Kaufoption, die dem Modell der Wiener Wohnbauinitiative folgen und freifinanziertes Wohnen in geförderter Preishöhe bieten. In den oberen 21 Etagen hingegen werden 224 Eigentumswohnungen mit einem durchschnittlichen Kaufpreis von knapp unter 6.000 Euro errichtet. Je höher die Wohnung, je besser die Aussicht, desto höher der Preis. »Mit diesem Mischmodell«, so Gehbauer, »können wir auch bei höheren Bau- und Grundstückskosten leistbare Wohnformen garantieren.« 

Auch das Österreichische Siedlungswerk (ÖSW), das am Grundstück nebenan den
Q Tower errichtet, hat mit dieser Schichtungsstrategie bereits jahrelange Erfahrung. Im Leopoldtower im Norden Wiens wurden dabei nicht nur zwei Wohntypologien und Rechtsformen schichtweise übereinandergestapelt, sondern gleich mehrere – geförderte und freifinanzierte Miete, gefördertes Eigentum, Serviced Apartments für kurzfristiges Wohnen sowie freifinanzierte Penthäuser auf den letzten Höhenmetern. 

»Ich bezeichne das als Mannerschnitten-Methode«, sagt ÖSW-Vorstand Michael Pech. »Und in den meisten Wohnlagen in Wien haben wir gar keine andere Wahl mehr, als die geförderten und freifinanzierten Wohnmodelle übereinander zu stapeln.« Grund dafür sind die steigenden Grundstückskosten, die in der österreichischen Bundeshauptstadt je nach Lage bei mehreren tausend Euro pro Quadratmeter liegen. »Mit der Förderobergrenze von 188 Euro pro Quadratmeter oberirdischer Bruttogrundfläche ist das nicht einmal ansatzweise vereinbar.« 

Spätestens seit der Einführung der neuen Widmungskategorie für gefördertes Wohnen, so Pech, sei man dazu gezwungen, das Angebot miteinander so zu vermischen, dass die teureren Wohnungen die günstigeren Wohnformen in der Errichtung mitfinanzieren. »Mischobjekte sind Systeme mit komplexen kommunizierenden Gefäßen. Wer in so einem Hochhaus eine Eigentumswohnung auf den letzten Etagen erwirbt, stützt dieses Finanzierungsmodell. Das gebe ich offen und ehrlich zu. Belohnt wird er dafür mit einer tollen Aussicht. Wer das nicht will, der findet am Markt genug Alternativen.« 

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