© Adela Rex

Stühle, Leuchten, Yachten, Hotels, alles: Philippe Starck ist seit Jahrzehnten ein höchst produktives Ein-Mann-Kraftwerk der Designideen. LIVING verleiht ihm jetzt den Design-Award für sein Lebenswerk, was ihn ausgesprochen freut, wie er im exklusiven Interview erzählt.

15.03.2023 - By Maik Novotny

Er arbeitet 14 Stunden pro Tag, reist ungern, hat keine Zeit für Retro und keine Geduld für oberflächliche Trends. Philippe Starck ist nach eigener Aussage der komplizierteste Mensch der Welt, aber im Gespräch sprüht der energiegeladene 74-Jährige vor Charme und guter Laune. Fürs Interview mit LIVING machte er eine kurze Arbeitspause und gewährte Einblick in seine Designphilosophie.

LIVING verleiht Ihnen einen Award für Ihr Lebenswerk. Was ist für Sie selbst die größte Leistung Ihres bisherigen Lebens?

PHILIPPE STARCK Ich bin niemand, der so tut, als ob ihn Awards nicht interessieren. Also: Vielen Dank, es ist eine große Ehre für mich! Aber meine eigene beste Leistung? Darauf habe ich keine Antwort, weil ich in meinem Kopf keine Software für Vermächtnisse habe. Vielleicht wird es am Ende kein Produkt sein, sondern eine Lebensweise. Wenn ich jungen Leuten beweisen kann, dass man ehrlich sein, alle Risiken auf sich nehmen und jede Minute des Lebens der eigenen Vision widmen kann, und die Jungen dann sagen: Wenn der das kann, können wir es auch.

Ihr Design geht über das rein Funktionale hinaus. Was kann und soll Design zum Leben und Erleben beitragen?

Wenn man die Fähigkeit hat, etwas zu erschaffen, ist das eine Verpflichtung, das Richtige zu tun. Das heißt, eine intelligente Kombination funktionaler Parameter. Dazu gehören Emotion, Humor, Poesie, Forschung, Risiko, Politik, Sex. In der Bauhaus-Ära waren diese Parameter rein mechanisch, aber seitdem haben wir gelernt, dass abstrakte Faktoren die gleiche Wichtigkeit haben wie handfeste Materialien. Ich benutze alle Parameter, die es gibt.

Die ewige Frage: Gibt es eine absolute Schönheit, oder wandelt sich unser Begriff von ihr?

Ich traue der Schönheit nicht. Sie unterscheidet sich von Kultur zu Kultur und sie ist zu kurzlebig. Man findet etwas schön, am nächsten Tag findet man es furchtbar. Der einzige gültige Maßstab ist die Harmonie. Harmonie funktioniert immer, weil sie ein Gleichgewicht von Dimension, Gewicht, Menge und Proportion ist. Harmonie kommt vor allem anderen. Schönheit interessiert mich nicht.

Träume über den Wolken

Das 2022 in Jean Nouvels Duo Towers in Paris eröffnete Restaurant gestaltete Philippe Starck als »Traumschloss über den Wolken, in dem alles möglich ist«.

Sie entwerfen Luxusobjekte wie Yachten, aber propagieren auch die Idee des demokratischen Designs. Sind das unterschiedliche Ansätze? Und was bedeutet Ihnen Luxus?

Ich hasse Luxus. Beim Luxus geht es heute nur darum, zu zeigen, dass man mehr hat als der Nachbar. Das ist mir zu vulgär. Ich liebe Intelligenz und Qualität, aber Luxus ist toxisch. Er verletzt diejenigen, die ihn sich nicht leisten können, und es ist nicht gut, wenn man seinen Nächsten verletzt. Daher ist demokratisches Design meine Priorität. Wenn man von einer guten Idee beehrt wird, hat man die Pflicht, sie so zu optimieren, dass so viele Leute wie möglich etwas davon haben. Ich habe diese Geisteskrankheit, die mich dazu bringt, dauernd Dinge zu erschaffen. Ich kann Flugzeuge, Boote und Zahnbürsten machen. Und wenn mir jemand eine Milliarde für eine Megayacht gibt, mache ich das auch, weil es eine Herausforderung ist, und ich das Geld in die Forschung für demokratisches Design stecken kann.

Sag Ja zu AI!

Beim Design des »AI Chair«, den Starck für Kartell entwarf, kam Künstliche Intelligenz als neues Werkzeug mit ins Spiel.

Kreativität als Geisteskrankheit, das klingt nach einer Belastung. Oder ist es ein Geschenk?

Der Vorteil ist, dass man keine Zeit mit beruflichen Zweifeln verschwendet. Der Nachteil ist, dass man kein Privatleben hat. Wenn ich eines Tages sterbe, werde ich immer noch nichts vom Leben wissen, aber es wird ein großer Spaß gewesen sein. Ich bewundere Menschen, die nur glücklich sind, wenn sie ganz in ihrem Alltagsleben aufgehen können. Aber Glück und Alltag interessieren mich nicht.

Sie klingen eigentlich recht fröhlich!

Kann sein, aber ich bin schwer zu verstehen. Ich bin der komplizierteste Mensch auf der Welt, und für meine Frau ist es ein Alptraum.

Es gibt wohl kein Objekt, das auf Designer:innen eine solche Faszination ausübt wie der Stuhl. Woran liegt es, dass die Designgeschichte des Stuhls nie abgeschlossen ist?

Es gibt sehr gute Gründe dafür, keinen Stuhl zu entwerfen. Es gibt schon mehr Stühle als Menschen auf der Welt. Wir brauchen also eigentlich nicht noch mehr davon. Aber man darf nicht vergessen, dass das Forschen und Erschaffen in unserer DNA steckt. Wir können nichts dagegen tun. Einen Stuhl herzustellen ist die komplizierteste Designaufgabe überhaupt. Ein Millimeter kann den Unterschied machen, ob der Prototyp funktioniert oder in den Müll wandert. Das Design eines Stuhls ist ein Wettbewerb, den nur wenige gewinnen, und es können auch nur sehr wenige. Einen guten Stuhl zu erschaffen, hat etwas Magisches, und es ist verführerisch, diese Magie einzufangen. Ich habe vor einer halben Stunde einen für Kartell gemacht, der auf dem Salone in Mailand vorgestellt wird.

Wie lange braucht man, um einen Stuhl zu entwerfen?

Für die Idee eine Sekunde. Für die Skizze vier Minuten. Dann 20 Minuten, um genauer über die Idee nachzudenken, und dann bis zu fünf Jahre Entwicklung.

Fabergé im Weltraum

AXIOM Space entwickelt im Auftrag der NASA das erste kommerzielle Raum-modul. Philippe Starcks Interieur dafür soll als eiförmig-kuscheliger Kokon die Kälte des Universums ausgleichen.

Sie sind viel unterwegs und haben zahlreiche Hotels entworfen. Was schätzen Sie selbst am meisten in einem Hotel?

Ich hasse Reisen und alles, was damit zu tun hat, aber leider komme ich oft nicht drum herum. Ich hasse Hotels, die trendy sind. Wenn ich in einem Hotel wohne, das ich selbst entworfen habe fühle ich mich wie zuhause. Was ich am meisten schätze? Zwei Dinge. Die Qualität des Kopfkissens und aufmerksames Personal. Wenn der Sommelier sagt: Monsieur Starck, ich habe hier einen organischen Wein für Sie, der wird Ihnen gefallen, dann weiß ich, hier kümmert sich jemand um mich – und danach kann ich glücklich auf einem wunderbaren Kopfkissen einschlafen.

Was waren Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Design-Entwicklungen der letzten zehn Jahre?

Ich bekomme nicht viel davon mit, weil ich wie ein Einsiedler hause, auf einer Düne oder in einem Wald. Aber ich glaube, dass wir viele Jahre mit formalen Trends verschwendet haben. Der Minimalismus etwa war nie an einem Minimum interessiert, es war nur ein weiterer Trend, ebenso die Retro-Moderne, die das italienische und skandinavische Design der 70er-Jahre wiederentdeckte. Retro ist immer Zeitverschwendung. Wir sind auf der Welt, um Neues zu erfinden, nicht, um in die Vergangenheit zu schauen.

Ein Blick in die Glaskugel: Was steht uns in punkto Design bevor?

Die junge Generation wird die alten Fehler nicht wiederholen, weil sie die Klimakrise im Rücken spüren. Sie wissen, dass sie sterben, wenn sie nicht ökologisch handeln. Wenn man das weiß und eine Idee des idealen Minimums hat, kann man sich helfen lassen vom mächtigsten Gehirn, dass es gibt, nämlich der Künstlichen Intelligenz. Auch wir haben das schon getan, mit dem AI Chair, den wir für Kartell produziert haben.

Und was können wir von Philippe Starck in der Zukunft erwarten?

Überraschungen bis zur letzten Minute!

Zeitlos europäisch

Philippe Starck übernahm das Redesign des 2020 eröffneten Fünf-Sterne-Hotels »La Réserve Eden au Lac« in Zürich. Dabei kombinierte er Elemente zu einer paneuropäischen Noblesse zwischen Nostalgie und Zukunft.

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