© Rainer Hosch

Duftexperte: »Gerüche tragen anarchisches Potenzial in sich«

Sowohl als Künstler als auch Parfümeur ist der Wiener Paul Divjak in der Welt der Düfte zu Hause. LIVING hat mit dem ausgewiesenen Duft-Experten über wohlkomponierte Düfte, die richtige Dosierung, die Tricks der Kosmetikbranche und FFP2-Masken als Duft-Resonanzraum gesprochen.

28.05.2021 - By Manfred Gram

Umtriebig ist wohl das Wort, das Paul Divjak am besten beschreibt. Zumindest, wenn man sich den Output und die Projekte ansieht, die der 50-jährige Wiener in den letzten Jahren umgesetzt und verwirklicht hat. Der Philosoph und Künstler hat nicht nur zahlreiche Parfüms und Düfte, wie etwa für die legendäre Apotheke Saint Charles, verwirklicht, sondern sorgt regelmäßig mit Duftinstallationen im öffentlichen Raum und in Museen für Furore. Er kann Orte in stinkende mittelalterliche Kloaken verwandeln, den Duft von Tannenwald oder Orangenhain durch die Luft schicken oder den Geruch des Mondes nachbauen. In seinem aktuellen Buch »Der parfümierte Mann« widmet er sich ausgiebig kulturgeschichtlichen und ästhetischen Aspekten bedufteter Männlichkeit.

LIVING: Herr Divjak, Sie gelten als Duftpoet, arbeiten als Künstler und Parfümeur und
haben Ihr kreatives Schaffen den Geruchs­phänomenen gewidmet. Können Sie uns einen kurzen Überblick geben, wie sich die Welt der Düfte und Parfüms im Laufe der Jahrzehnte verändert hat?
Paul Divjak:
In den späten 1960er-, 70er- und frühen 80er-Jahren dominierten etwa bei den Herrenparfüms vor allem Chypres, Zitrusnoten auf einer warm-würzigen Basis, Holz-Leder-Düfte und Fougères, die auf soliden, mit Eichenmoos, Vetiver und Moschus gesättigten Fonds standen. Diese Düfte liegen mir persönlich sehr nahe. Je mehr es dann in Richtung 90er- und Nullerjahre geht, kommt dann eine gesättigte Frische und Synthetisierung ins Spiel, die meines Erachtens weniger Sinnlichkeit, sondern mehr eine stumpfe Idee von Gepflegtheit transportiert. Es gibt aber selbstverständlich in allen Jahrzehnten großartige Duftkompositionen, die vielfach unentdeckt bleiben. 

Wie findet man diese Schätze? 
Über Mundpropaganda und im Freundeskreis, aber auch auf Partys, Feiern oder Konzerten. Also überall dort, wo man in letzter Zeit nicht hin konnte. 

Womit wir bei der obligatorischen Covid-Frage angelangt sind. Wonach riecht eigentlich die Krise für einen Duftexperten? Und wirkt sie sich auf unsere Nase aus? 
Als im Vorjahr die Pandemie begann, war ich gerade in Südostasien. Für mich hat die Krise damals ganz deutlich nach Frangipani-­Blüten, Urwald und Desinfektionsmittel ­gerochen. Was ich vor allem in den letzten Wochen festgestellt habe, ist, dass FFP2-Masken ein ganz eigentümliches Geruchsempfinden verursachen. Erstmals lernen jetzt Menschen über die Maske ihren eigenen Mundgeruch kennen. Ebenso interessant ist, dass es Moleküle gibt, die sich richtiggehend im Resonanzraum der Maske verfangen. Heute ist es mir so mit einem billigen Aftershave, das jemand getragen hat, ergangen. Es hing lange in der Maske drinnen. 

Was ist für Sie ein billiges Aftershave? 
Ich möchte keine Namen nennen. Es sind
für mich aber vordergründig aufdringliche Düfte. Das hat übrigens nichts mit dem Preis zu tun. Es gibt sehr günstige, legendäre Aftershaves, die großartig und hochwertig sind. 

Es ist also – wie so oft – eine Frage der Dosierung … 
Es ist eine Gratwanderung zwischen Anmut und Zumutung. Ich rate stets, sparsam zu dosieren. Man vergisst ja gerne, dass unsere Nase Gewohnheitseffekten unterliegt und dabei Eigen- und Fremdwahrnehmung stark differieren können. Es ist nicht notwendig eine riesige Sillage hinter sich herzuziehen. Die Kunst liegt darin, eine zarte Duftspur, eine Art Versprechen zu hinterlassen. 

Und was macht ein gutes Parfüm, ein gutes Versprechen aus? 
Ich erwähne in diesem Zusammenhang gerne den französischen Meisterparfümeur Edmond Roudnitska, der überzeugt war, dass ein schöner Duft »einer mit glücklichen Proportionen und einer originellen Form« ist. In meinem Buch »Der parfümierte Mann« spreche ich vom »wohlkomponierten Duft«. Er lädt ein, erzählt etwas und tritt dabei mit der Haut und der Umgebung in eine Beziehung, um so zu einer Ästhetisierung des Alltags beizutragen. Eine gelungene Duftkomposition transportiert ein Geheimnis und hat etwas Unaussprechliches. Außerdem sollte man bedenken, dass Gerüche anarchisches Poten­zial in sich tragen. 

Worin liegt denn das Anarchische im Duft? 
Im Widerständigen, im Nichteinordnenbaren, im etwaigen unvermittelt Unerträglichen. 

Gibt es Dinge, die Sie auch in Ihren Duftinstallationen aufgreifen, etwa wenn Sie den Geruch des Mondes einfangen oder die Duft-DNA des Wiener Praters in die Innenstadt bringen? 
Bei Gerüchen geht es darum, zu überraschen und mit der Wahrnehmung und Konventionen zu spielen. Mit der Installation »Im Prater blühen wieder die Bäume« haben wir an unterschiedlichen bodenversiegelten Betonorten Wiens Gerüche von Kastanienblüten, Flieder, oder frisch gemähtem Gras in die Luft gesetzt. Das sorgte für Irritationen, ergab aber vor allem spannende Gespräche, weil Passantinnen und Passanten mit etwas in der Luft ­Liegendem konfrontiert wurden, das sie nicht sofort zuordnen konnten. 

Dufte Kooperation: Mit Alexander Ehrmann, Chef der Saint Charles Apotheke, arbeitet Divjak seit Jahren immer wieder zusammen und schafft nachhaltige Duftkonzepte.

© Richard König/Saint Charles

Unsere Kultur ist sehr visuell geprägt. ­Inwieweit spielt das eine Rolle, wenn es
um die Wahrnehmung von Düften geht? 

Optische Botschaften beeinflussen und prägen, was und vor allem wie wir riechen. Das geht so weit, dass man aufgrund einer visuellen Botschaft, die das nahelegt, etwas zu riechen glaubt. Die ganze Parfümindustrie spielt mit dieser Erkenntnis. Etwa wenn es um Packaging, die Gestaltung der Flakons oder die Farbe des Liquids geht. Bei grünen Flüssigkeiten erwarten wir Frische und Würzigkeit, bei gelben und braunen eher Ledriges und Moschus. Farbgebung und Form suggerieren ganz klar, was wir in welche Richtung wahrnehmen. 

Sie arbeiten ja seit Jahren sehr eng mit der Apotheke Saint Charles zusammen, für die Sie u. a. das Eau d’Énergie »Soul Splash« entwickelten. Das Unternehmen steht sehr exponiert für Nachhaltigkeit. Wie ökobewusst ist eigentlich die Duft- bzw. Kosmetik-Branche? 
Der Trend zur organischen und nachhaltigen Manufakturproduktion ist mehr als nur ein zukunftsweisender Lichtblick. Er zeugt von einem Umdenken und setzt auf einen wertschätzenden Umgang mit Ressourcen. Allerdings: Es gibt noch sehr viel Veränderungs­-
potenzial, denn wie in anderen Branchen auch setzt man noch allzu gern auf Bewährtes. 

Kreieren Sie eigentlich gerade für jemanden einen Duft? 
Ja. Ich erarbeite gerade ein umfassendes Duftkonzept für ein interdisziplinäres Forschungsprojekt und komponiere auch ein Parfüm für das Wiener Fashion-Label Wendy Jim. 

Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen Duft komponieren? 
Ganz strategisch. Ich überlege mir, wofür die Marke steht und was sie aussagt. Da Wendy Jim von Wien aus ihr internationales Label betreiben, versuche ich, Aspekte der Stadt in den Duft zu bekommen. Dabei arbeite ich mich auch in die Parfüm-Historie ein. So hatte etwa der legendäre Modeschöpfer Fred Adlmüller einen eigenen Duft, aber auch das Hotel Sacher. Ich vergleiche das Kreieren von Düften immer gerne mit dem Musik­machen bzw. dem Bauen von Tracks: Man legt Spuren, fügt Höhen, Bässe und Beats hinzu. 

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 04/2021

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