© Matteo Canestraro

Angelika Rosam auf der Salone del Mobile 2023: Design-Eldorado Mailand

Eine Woche Interior-News. Intensiv, originell und zukunftsweisend. Die italienische Metropole verwandelte sich auch heuer in ein Laboratorium des Experimentierens und zeigte viele Möglichkeiten auf, nachhaltig über dieses Kreativuniversum nachzudenken.

11.05.2023 - By Angelika Rosam

Bei all dieser Überflutung neuester Design-Trends ist es gar nicht so einfach, den Überblick zu bewahren: eine Woche lang intensivste Betrachtungen, Ausstellungen, Pop-ups, Zusammentreffen, Präsentationen, Partys, schwere Taschen, vollgepackt mit Unterlagen, und zerschundene Füße ob der vielen Kilometer, die man Tag für Tag zurücklegte – hatte es in der Designwelt in den letzten Jahrzehnten keinen Austausch mehr gegeben? In der Tat fühlte sich die 61. Edition des Salone del ­Mobile geradezu so an.

Über 2.000 Aussteller, 5.400 akkreditierte Journalist:innen

Rund 2.000 Marken aus aller Welt präsentierten sich heuer umtriebig in den großen Hallen der Fiera Milano. Insgesamt 307.418 Besu­che:in­nen wurden registriert, 15 Prozent mehr als 2022. Besonders bemerkenswert: der Anteil von 65 Prozent Einkäu­fer:innen und Branchen­vertreter:innen aus dem Ausland. China steht nach Italien wieder an erster Stelle, gefolgt von ­Deutschland, Frankreich, den Vereinigten Staaten und ­Spanien, gleichauf mit Brasilien und Indien. Über 5.400 akkreditierte Journalist:innen eilten von Pavillon zu Pavillon, davon 47 Prozent aus dem Ausland. Ja, tatsächlich, die Designwelt ist zurück, der heurige Salone der erste, der seit der Pandemie wieder regulär wie gewohnt im April seine Toren öffnete und mit ihm den Enthusiasmus passionierter Interior-Aficionados in die ­blühende Kreativ-City holte.

Es ist viel passiert, seitdem letztes Jahr im Juni nur die Salone-light-Version vorgestellt worden war. 2023 erweiterte man die Reichweite des wichtigsten internationalen Designspektakels mit einem neuen Kulturprogramm in seinen Hallen, das von dem Architekten Beppe Finessi inklusive Team umgesetzt ­wurde. »Wir haben mit einem multidisziplinären Ansatz gearbeitet: Design ist bereits auf dem Salone del Mobile vertreten, also wollten wir mit unserem Programm Architektur, Kunst und Fotografie auf das Messegelände bringen«, so Finessis einleuchtende Analyse. Gesagt, getan. Zu seinem Beitrag gehören eine Buchhandlung des Italoverlags Corraini, ­gestaltet von Formafantasma, sowie mehrere Ausstellungen, die neue Konzepte von Kreativität und Fantasie auf die Messe brachten.

Maria Porro, die nach Kartell-Eigentümer Claudio Luti seit 2021 als neue Salone-Präsidentin agiert, unterstützte das neue Layout der Messe. »Die Menschen kommen zum Salone, um die Neuheiten der Marken zu entdecken, aber auch um Kontakte zu knüpfen. Und genau das haben wir vermisst«, fasst Porro zusammen. »Deshalb haben wir beschlossen, einen urbanistischen Ansatz zu verfolgen. Wir haben die Messe als eine Stadt betrachtet, eine ideale Stadt, ausgehend von den Pavillons der Euroluce.« Die Gestaltung der Pavillons wurde dem ­Mailänder Architekturbüro Lombardini22 anvertraut, das in der Tat ein Konzept entwarf, das die Reise der Besucher:innen verbesserte.

Je grösser, umso besser

Man konnte also aus dem Vollen schöpfen in diesen Tagen, und die Großen der Branche lieferten ein kompetierend beeindruckendes Architektur-Eldorado an Pavillon-Designs. So inszenierte sich Minotti auf insgesamt 4.500 Quadratmetern, Edra kreierte am ­Megastand ein zusätzliches Café, Poliform reüssierte erstmals mit Outdoor-News, ­Kartell eröffnete eine farbenprächtige Interior-Landschaft selbst fürs verwöhnte Auge und Flexform begeisterte inklusive Gartenlandschaft und komfortabler wie schicker Highlights für den Außenbereich.

Es gab von allem alles, und das im Überfluss. Und während sich die interessierten Fans gegenseitig in den Gängen der Messe voranschoben, nahmen die Besucher:innenschlangen vor den begehrten Luxusbrands in der City kein Ende mehr. Die Markenshowrooms und Räumlichkeiten quollen gerade zu über – der »Fuorisalone« mit all seinen Nebenveran­staltungen von Brera bis Isola lockte Besucher:innen wiederholt in die spektakulärsten und oft wenig zugänglichen Palazzos, die in versteckten Innenhöfen und Gärten Design at its best offerierten. Und zwar so umfangreich, dass es schier unmöglich war, alle Angebote persönlich zu gustieren. Man pickte sich raus, was in den Stunden umsetzbar war. Wir waren begeistert vom US-Giganten Kohler, der seine Badezimmerkreationen im Palazzo Senato bravourös in Wasserbecken in Szene setzte. Lampenriese Occhio etwa, mietete Garten und Poolbereich in der unvergleichbaren Villa Necchi, Desi­gner Cristián Mohaded entwarf für Loro Piana Interiors organische Sofas und Couchtische, die, passend zur Tradition des Hauses, in Alpaka- oder Vikunjawolle erhältlich sind. Weiters beeindruckend: Ganz unter dem ­Motto »Vieni a Vedere« schmückte Architekt Gaetano Pesce den Bottega-Veneta-Store mit einer in sattem Grün angelegten Kunstinstallation, die neuen It-Bags inklusive.

Louis Vuitton wiederum präsentierte seine von Marc Newson gestalteten Trunk-Neuheiten im bewundernswerten Serbelloni Garden. Und Philippe Starck setzte die Kooperation mit Dior fort, indem er den ikonischen »­Medaillon-Chair« diesmal mit dem klassischen Toile-de-Jouy-Stoff neu drapierte. Fornasetti war ebenso von der Partie wie Timberland oder Loewe. Und generell war das Ausmaß an Brands aus dem Mode- und Beautybereich so hoch wie nie. Ob für die Vorstellung eigener Produkte aus der Home- und Livingkategorie oder um Künstler:innen aus ganz anderen Disziplinen eine Bühne zu bieten. Und es gab noch mehr, das fesselte.

Unabhängige Designplattform

Wie der Freigeist von Alcova. Das umherziehende Schaufenster setzte sich seit Beginn für unorthodoxe Ideen an unerwarteten Orten ein und etablierte sich damit als einer der wichtigsten Inkubatoren der Mailänder Design­woche für aufstrebende Talente, die den Rahmen sprengen wollen und nicht ganz in die Form des Salone del Mobile oder der unzähligen Satellitenausstellungen während des Fuorisalone passen. Valentina Ciuffi und Joseph Grima gründeten Alcova vor fünf Jahren, mit Erfolg, wie man heute sieht. Dieses Mal fand die kreative Plattform im historischen Viertel des Schlachthofs Porta Vittoria in der Via Molise 62 statt, das zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich wurde. Nicht zu vergessen: das legendäre Nilufar Depot, geführt von der extravaganten Nina Yashar, die sich für »The Bright Side of ­Design« auf einen Dialog zwischen alten Meistern wie Osvaldo Borsani und zeitgenössischen Designer:innen fokussierte.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 03/2023

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