© BurlingtonBurlington Nicht zum Verstecken, sondern zum Hinschauen, sind bunte Socken aus dem britischen Traditionshaus Burlington. burlington.de

Bunte Socken sind überall. Neuerdings auch in den Vorstandsetagen. Darf man das? Selbstverständlich, denn der farbenfrohe Trend macht richtig eingesetzt durchaus Eindruck.

20.01.2021 - By Manfred Gram

Eigentlich ist es einfach. Zumindest wenn man den Knigge beherzt. In der unumstrittenen Fibel des guten Benehmens steht nämlich recht eindeutig: »Für die Herren gilt, dass zwischen Strumpf und Hosenbein niemals ein unbekleidetes Bein sichtbar sein darf.« Weiter heißt es: »Das Tragen von Socken ist tabu.« Und auch nicht unwichtig: »Niemals dürfen weiße Strümpfe getragen werden.« Strümpfe haben also dunkel zu sein, zum Anzug zu passen und Socken gelten – zumindest was den Businessauftritt betrifft – überhaupt als Machwerk des Teufels. So einfach ist das. Eigentlich. 

Denn jetzt hat man natürlich gleich mehrere Möglichkeiten, mit diesem durchaus rigiden Regelwerk zu verfahren. Befolgen ist eine davon. Das ist zwar ein bisschen fad, aber letztlich macht man mit einem gut sitzenden Anzug, und einem Fuß, der nicht nur im passenden Schuh, sondern auch im hochwertigen Kniestrumpf steckt, nichts falsch am Gesellschaftsparkett. Eine weitere Möglichkeit wäre, mit dem guten alten Knigge zu brechen. Auf Socken statt auf Strümpfe zu setzen, Haut und Beinhaar zu entblößen, und einfach einmal schauen, was passiert. Das ist nicht unbedingt ratsam, ist doch das Gesellschaftsparkett meist ein glattes, und Geschmacklosigkeiten werden zwar nicht immer kommentiert, sind aber stets tolles Kanonenfutter, wenn der Small Talk stockt. 

Es gibt aber auch eine dritte Option. Man interpretiert die Knigg’sche Socken-Strumpf-Regel auf seine eigene Weise und adaptiert sie für die Gegenwart. Knalliger Kniestrumpf oder gar schräge Socken sind dann beim Business-termin kein Problem mehr – sofern ein Mindestmaß an Ästhetik eingehalten wird und der Umwelt keinen Blick auf nacktes Männerbein zugemutet wird.  

Breaking the law

Dazu braucht es einerseits Mut, andererseits aber auch ein Feingespür, wie Machtexpertin und Wirtschaftscoach Christine Bauer-Jelinek erklärt: »Es ist die hohe Kunst, durch einen Tabubruch positiv wahrgenommen zu werden und nicht einfach als inkompetent zu gelten. Wer Regeln bricht, muss es sich leisten können.« Wie so etwas funktioniert zeigt der kanadische Premierminister Justin Trudeau. Der Politiker inszeniert sich bei medialen Auftritten prinzipiell schon äußerst geschickt. Seit geraumer Zeit tut er dies auch mit bunten Socken, die nicht nur schnöden Tabubrüchen dienen, sondern üblicherweise auch Botschaften und Codes transportieren. Ob Regenbogenfarben, NATO-Emblem, kanadisches Ahornblatt oder ein R2-D2 aus dem Star-Wars-Universum – Trudeau hat scheinbar für jeden Anlass was kleines Buntes für die Füße in der Schublade und treibt es weit unter der Gürtellinie ganz schön bunt. Eine logische Entwicklung, wie Bauer-Jelinek weiß: »Bisher war die Krawatte der einzige Farbtupfen, den Männer sich leisten konnten. Und oft haben sie damit auch Statements gesetzt – nicht immer zu ihrem Vorteil. Seit die Krawatte auch in Toppositionen immer öfter weggelassen wird, übernehmen die Socken diese Aufgabe.« Ganz ungefährlich ist es nicht, wie die Macht-expertin weiß, denn: »Man muss sich ganz genau überlegen, welche Wirkung man in der Öffentlichkeit erzeugen will.« Im Fall von Trudeau könnte man sich auch noch ein wenig aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass seine buntes Knöchelkleid wohl auch eine deutliche Abgrenzung zu den knallroten Trump’schen Powerkrawatten ist. 

Christine Bauer-Jelinek, Wirtschaftscoach

»Seit die Krawatte in Toppositionen immer öfter weggelassen wird, sorgt man mit Socken für Farbtupfer.«

Macht Eindruck

Dass der Griff in den Farbtopf der Leithammeln und Alphatiere wirkt, ist jedenfalls erwiesen. Psychologen der Harvard Universität bekräftigen dies mit einer einschlägigen Studie, denn – so die Forscher –, eine gewisse Unangepasstheit beim Kleidungsstil steht in direktem Zusammenhang mit Karriereerfolgen und Respekt. »Red-Sneaker-Effekt« nennt man dies griffig und schließt dabei nicht nur Socken, sondern auch andere Accessoires und Details mit ein. Schuhe, Krawatte, Stecktuch – damit lässt sich mehr oder weniger subtil Aufmerksamkeit erzeugen und Status signalisieren. Christine Bauer-Jelinek rät dennoch zu dezenter Vorsicht, schließlich hat ja nicht jeder eine Trudeau’sche PR- und Stylisten-Maschinerie hinter sich: »Die meisten Männer müssen sich selbst inszenieren. Da hilft eine gesunde Skepsis gegenüber Modetipps, die Beobachtung von Vorbildern aus der eigenen Branche und letztlich nur Trial and Error beziehungsweise der gesunde Menschenverstand.«

Dennoch: Farbkleckse werden gerne gesehen. Das freut nicht zuletzt arrivierte Modelabels wie Burlington oder Falke, die bunte Strümpfe in nie da gewesener Auswahl anbieten. Oder die schwedischen Sockenspezialisten »Happy Socks«, die in den letzten Jahren ihr Strumpfimperium kräftig ausbauen konnten und als Vorreiter in diesem Segment gelten. Ob es so bleibt? Gut möglich, aber letztlich sind Trends eine launische Angelegenheit. Nicht selten sieht man es momentan nicht nur bei Freizeitlooks blütenweiß zwischen Schuh und Hose aufblitzen. Gut möglich also, dass die Tennissocke im ganz großen Stil zurückkommt. Für alle, die sich am Knigge orientieren, heißt es also weiterhin stark sein. 

»Wer Regeln bricht, muss sich das leisten können.«

Christine Bauer-Jelinek Wirtschaftscoach

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