© James Wang, Courtesy of Atelier Masomi & Courtesy of Studio Chahar

Baustoff Lehm: Nicht auf Sand gebaut

Lehm galt lange als Baustoff für Arme. Dabei ist er nicht nur in Sachen Nachhaltigkeit ein Vorreiter, sondern funktioniert auch als natürliche Klimaanlage. Die Star-Architektin Mariam Kamara aus Niger zeigt mit ihren innovativen Entwürfen, wie man traditionelle Materialien updaten kann.

28.05.2021 - By Karin Cerny

In der Architekturgeschichte gibt es seit einigen Jahren einen spannenden Trend zu beobachten: Die westliche Arroganz bröckelt. Man betrachtet sich nicht mehr als das alleinige Zentrum des Planeten, sondern entdeckt die reiche Bautradition von anderen Kontinenten. Auch um den schwierigen Herausforderungen der Gegenwart zu begegnen, von Klimaerwärmung über Migrationsbewegungen bis hin zu sozialem Bauen. 

LOKALE TRADITION

»Potenzial gäbe es genug, um von Afrika zu lernen«, sagt der Architekt Adil Dalbai, der Mitherausgeber des gerade erschienenen -Architekturführers »Sub-Saharan Africa« ist. »Das betrifft nicht nur die Rückbesinnung auf lokale Bautraditionen, sondern auch die Fähigkeit, Architektur prozessual zu denken, den Lebenszyklus von Bauten kreativer, nachhaltiger und näher an den Bedürfnissen der Natur auszurichten.« 54 Länder mit höchst unterschiedlichen Kulturen und Klimazonen deckt der Guide ab, von »afrikanischer Architektur« zu sprechen ist da freilich vermessen. 

Lehmbauten findet aber man in vielen Ländern, handelt es sich doch um ein günstiges Material, das sich ideal anpasst: Es kühlt im Sommer, wärmt im Winter. Im urbanen Raum haftet Lehm in vielen afrikanischen Ländern aber auch der Nimbus eines Baustoffs der Armen an. Wie man alte Traditionen wieder zukunftsweisend aufladen kann, zeigt die aus Niger stammende Star-Architektin Mariam Kamara. Für ihr Projekt »Niamey 2000«, das sie gemeinsam mit Yasaman Esmaili, einer jungen Kollegin aus dem Iran, realisierte, setzte sie Lehmziegel ein. Bei der wohlhabenden Mittelschicht, für die diese zweigeschossigen Wohnungen geplant waren, sorgte der »primitive« Baustoff zunächst für Irritation. Aber schnell waren die Bewohner begeistert, dass sie trotz 45 Grad im Sommer keine Klima­anlagen brauchten. 

»Durch Kamaras besondere Fähigkeit, das alte Material in neuen Formen, Typologien und Kontexten zu denken, entstehen gleichermaßen zeitgemäße und in der Tradition ­verwurzelte Bauten«, erklärt Dalbai die ge­stalterische Kraft dieser Architektin, die längst weltweit als eine der spannendsten neuen Köpfe der Branche gilt. Auch weil sie soziale Herausforderungen mitdenkt, lokale Com­munitys einbezieht und nachhaltig auf Vorhandenes reagiert. Ihre Raumlösungen sind simpel und gerade dadurch so bahnbrechend. Recyceltes Material wird da auf einem Markt als Sonnenschutz eingesetzt, weil Bäume in der Wüste zu viel Wasser verschwenden ­würden. 

Lehm liegt aber auch in unseren Breitengraden wieder im Trend. Er ist schadstofffrei und hautfreundlich, zudem vollständig recycelbar. Lehm absorbiert Schall und Gerüche und ist antibakteriell. Und er stammt meist aus der Region, weshalb die Transportwege kurz sind. Die deutsche Firma Biolehmhaus GmbH hat sogar ein Fertighaus aus Lehm im Sortiment. 

NATÜRLICHER KLIMAREGLER

Experten sind aber nach wie vor eher rar gesät, was das Bauen mit Lehm betrifft. Viele wagen sich nicht an diesen Baustoff, weil er durchaus seine Tücken hat. Die Trockenzeit dauert rund zwei Wochen, in denen es nicht regnen darf. Wie geht man damit um? Um Fragen wie diese zu klären, hat sich 2018 hierzulande der Verein Netzwerk Lehm gegründet, der es sich zur Aufgabe macht, Lehmbau in Theorie und Praxis zu fördern, sich auf europäischer Ebene zu vernetzen und nützliche Kontakte herzustellen. Ob als Verputz, Dämmung oder ganzes Haus, man findet auf der Homepage netzwerklehm.at geglückte Beispiele von Lehmbauten, die von einem Dachausbau in Wien bis zum Landeskrankenhaus in Feldkirch reichen. In dessen Eingangsbereich befindet sich eine sechs Meter hohe Wand aus gestampftem Lehm, die nicht nur als natürlicher Klimaregler dient und auch ästhetisch einiges hermacht: Dank Lehm riecht es auch nicht nach Krankenhaus.  

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 04/2021

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