© Gunter Gluecklich

Barbara Vinken: »Die Welt sehnt sich gerade nach Eleganz«

Worin besteht Eleganz? Kann jeder Mensch elegant sein? Ist Eleganz erlernbar oder ist sie eine Gabe? Modetheoretikerin Barbara Vinken über eine Haltung, die unser Miteinander bereichert.

01.06.2023 - By Sebastian Späth

LiVING: Frau Vinken, Sie haben ein Buch über Eleganz geschrieben. Hätten sich andere Themen nicht stärker aufgedrängt? 
Barbara Vinken: Nein, die Welt sehnt sich gerade nach Eleganz. 

Als Voraussetzung für eine elegante Lebens-weise bezeichnen Sie den Überfluss. Ist Eleganz demnach nicht völlig aus der Zeit gefallen? Schließlich gibt es angesichts der aktuellen Weltlage eigentlich nur eine Losung: Schrumpfung.
Die Grundvoraussetzung für Eleganz ist, wie das Wort schon sagt, das Erlesene, das Ausgesuchte. Das Gegenteil davon wäre, alles in sich reinzustopfen und an sich dranzuklatschen. Indem Sie auslesen, aussuchen, verzichten Sie auf ganz vieles. Eleganz ist eine Form der Askese. Und Verzicht, finde ich, kann man eigentlich nur von Menschen verlangen, die im Überfluss leben, denen es an nichts fehlt. Insofern widerspreche ich Ihnen vehement: Eleganz ist alles andere als unzeitgemäß, im Gegenteil.

Ihr Buch liest sich wie eine Gegenschrift auf Effizienzstreben und Selbstoptimierung, die Ihrer Ansicht nach unser aller Handeln -immer stärker bestimmen. Welchen Widerspruch sehen Sie zwischen Eleganz und Effizienz – und warum gibt es für Sie ausgerechnet diese beiden Pole?
Der effiziente Mensch hat keine Zeit für Eleganz. Eleganz sucht, kennt und schätzt das Erlesene. Eleganz war ein Stilideal, ein Ideal, das den Umgang mit der Welt, den anderen, sich selbst möglichst glücklich machen und zur Freude aller regeln sollte. Das kann nicht gelingen, wenn ich ausschließlich mich selbst, meinen Erfolg, unter Leistungsdruck, immer perfekter zu werden, im Blick habe. Bei der Selbstoptimierung ist das eigene »Ich« der Maßstab für alles, Eleganz dagegen legt es auf das Gefallen, das Gefallenfinden, kurz auf den anderen an.  

Beides gleichzeitig geht nicht?
Nun ja, Eleganz liegt darin, die Mühe, die Arbeit, die in eine elegante Lebensweise eingehen, unsichtbar zu machen. Lässig, cool, nonchalant, en passant ist das Elegante. Haben Sie sich die Finger wund geschrieben, ziehen sie lieber Spitzenhandschuhe an und hängen Ihre Gestresstheit und Ihre Kompetenz nicht an die große Glocke. 

Nun haben Sie selbst eine beachtenswerte akademische Karriere hingelegt, publizieren neben Ihrer Lehrtätigkeit ein Buch nach dem anderen. Würden Sie sich selbst als ineffizient bezeichnen?
Ich würde sagen, ich bin in einem Modus der Selbstverausgabung. Ob das besonders effizient ist, bezweifle ich. Sehr erschöpfend ist es in jedem Fall. 

Sind Sie elegant?
Ich will es mal so ausdrücken: Das größte Missverständnis besteht darin, Eleganz mit Perfektion gleichzusetzen. Sie ist umgekehrt die Kunst, mit Schwächen, Fehlern, Unvollkommenheiten umzugehen und daraus etwas Anmutiges, sogar Anziehendes zu machen. Selbstdistanz, Selbstironie ist der Eleganz förderlich. Ich selbst habe viele Schwächen und Fehler. Und ich versuche, mit denen einigermaßen ironisch-heiter umzugehen.

»Eleganz. Über eine Haltung, die unser Miteinander bereichert« Barbara Vinken spürt ­einem Ideal nach, das uns nicht erst seit der ­Renaissance das Leben verschönern und verbessern soll. Eleganz ist eine kulturelle Errungenschaft, die nichts mit Geld oder Perfektion zu tun hat. Verlag: Brandstätter, Preis: 28 Euro

© Brandstätter Verlag

»Eleganz liegt darin, die Mühe, die Arbeit, die in eine elegante Lebensweise eingehen, unsichtbar zu machen.« 
Buchautorin, Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie 

BARBARA VINKEN wurde 1960 geboren und ist seit 2004 Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie wurde mit Büchern über Mode bekannt. 2018 wurde ihr der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 03/2023

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