© Lukas Ilgner

Die politisch angespannte Lage in Europa führt nicht nur zu Energieknappheit, sondern auch zu der Frage, wie wir schnellstmöglich aus den fossilen Brennstoffen aussteigen und die gebaute Umwelt auf erneuerbare Energien umrüsten können. Darüber diskutieren der Wiener Architekt Christoph Treberspurg, die Bauträgerin Sandra Bauernfeind und der Immobilienexperte Udo Weinberger.

30.09.2022 - By Wojciech Czaja

LIVING Die Gasspeicher in Österreich sind aktuell zu etwa 50 Prozent befüllt. Wie voll ist denn Ihr persönlicher Energiespeicher?

Christoph Treberspurg Mir geht’s gut, ich bin guter Dinge. Weit über 90 Prozent.

Sandra Bauernfeind Sommer, warme Jahreszeit, schöne Erlebnisse. 98 Prozent.

Udo Weinberger Ich komme frisch aus dem Urlaub. Ich sage 95 Prozent.

Und auf welche Energieträger sind Sie in Ihrem persönlichen Alltag angewiesen?

Bauernfeind Ich habe eine Gaszentralheizung, was im historischen Bestand in Wien leider immer noch üblich ist. Da steht uns in den nächsten Jahren wohl eine große Umrüstung bevor. Unser Bürohaus in Wien-Favoriten ist an die Fernwärme angeschlossen.

Treberspurg In meinem Fall sind das Gas und Sonne. Ich wohne in einem kooperativen Wohnprojekt in Purkersdorf, das in den 1980er-Jahren errichtet wurde. Wir haben zwar eine Gastherme, was der Entstehungszeit des Gebäudes geschuldet ist, greifen aber auch auf passive solare Energie zurück – mit großzügig verglasten Wintergärten. In den nächsten zwei Jahren wollen wir den Gasbetrieb einstellen und auf eine Wärmepumpe umrüsten. Unser Büro in Penzing in einem historischen Biedermeierhaus mit schönem Stuck an der Fassade haben wir im Inneren mit Glasschaum wärmegedämmt. Teuer, aber gut!

Weinberger Ich wohne in einem Einfamilienhaus in Klosterneuburg und heize mit Gas. Allerdings denken wir für die Zukunft – und wohl auch für den kommenden Herbst – über einen Plan B nach. Daher werden wir unsere Holzöfen jetzt wieder reaktivieren.

»Der Ausstieg aus Gas ist ein sehr komplexer Prozess. Es sind viele kleine Zahnrädchen, die hier ineinandergreifen. Ohne Gesetzesänderungen wird es nicht gehen.« – Sandra Bauernfeind, Geschäftsführerin bei Heimat Österreich

Bedingt durch die politische Situation und den Krieg in der Ukraine ist Energie zu einem kostbaren Gut geworden. Sehen Sie die Energieknappheit als Gefahr oder als Chance?

Bauernfeind Ich denke, dass wir Menschen oft erst eine reale bedrohliche Situation brauchen, um aufzuwachen und uns des Ausmaßes unserer Lebensweise bewusst zu werden. Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energieknappheit sind so eine Bedrohung. Aber die Engpässe gehen noch viel weiter: Seit der Coronakrise haben wir es auch mit Material- und Produktengpässen zu tun, und seit einigen Jahren wissen wir bereits, dass wir in Österreich vor allem auch einen Engpass an Handwerker:innen im Baugewerbe haben. Das alles macht die derzeitige Situation sehr, sehr akut.

Treberspurg Seit langer Zeit schon gibt es sinnvolle Alternativen zu fossilen Brennstoffen, die sich in der Praxis bereits bewährt haben. Das Problem ist die fehlende Kostenwahrheit, was die Situation sehr verzerrt, denn bedingt durch Förderungen, falsche Besteuerungen und fehlende Transparenz wird Gas oft als günstiger Rohstoff dargestellt. Durch den Krieg ist es zu einer Preiskorrektur gekommen.

Wie gut ist Österreich für einen Ausstieg aus Gas gewappnet?

Weinberger Im Neubaubereich sind wir sehr gut vorbereitet. Es hat sich sehr viel getan, und wir können auf eine gute Industrie, auf gute Architekt:innen und mittlerweile auch auf eine sensibilisierte Bauträgerschaft zurückgreifen. Das Problem liegt woanders – und zwar in der Adaptierung des Bestands. Und obwohl ich ein unverbesserlicher Optimist bin, kann ich mir ehrlich gesagt kaum vorstellen, wie sich ein Ausstieg aus Gas bis 2035, 2040 überhaupt noch ausgehen soll.

Aktuell sind in Österreich rund 600.000 Öl­kessel und Gasfeuerungsanlagen in Betrieb. Das heißt, wir müssten pro Jahr 40.000 bis 50.000 dieser Systeme austauschen.

Weinberger Und das tun wir nicht! Wir haben zwar schon mit der Umrüstung begonnen, allerdings in einem Schneckentempo. Frau Bauernfeind, Sie haben die fehlenden Handwerker:innen angesprochen. Ja, das wird echt knapp werden!

Bauernfeind Vor allem muss man klipp und klar sagen, dass sich das auf Basis der derzeitigen Gesetze – wenn ich nur an das Mietrechtsgesetz (MRG) und das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) denke – nicht wirklich ändern wird. Die legistische Lage ist ­derzeit so, dass Veränderung schwer möglich ist, weil es immer noch den Konsens einer Mehrheit oder Einstimmigkeit bedarf.

Die Praktikerin In Salzburg hat Sandra Bauernfeind kürzlich einen Wohnbau realisiert, der ausschließlich mit der Restwärme aus dem Abwasser beheizt wird. Funktioniert gut, sagt sie.

»Obwohl ich Optimist bin, kann ich mir ehrlich gesagt kaum vorstellen, wie sich ein Ausstieg aus Gas bis 2035, 2040 überhaupt noch ausgehen soll.« Udo Weinberger, Vorstands­mitglied im Österreichischen Verband der Immobilienwirtschaft

Welche konkreten Alternativen gibt es denn zu Öl und Gas?

Weinberger Da muss man stark zwischen Stadt und Land, zwischen Wien und Bundesländern unterscheiden. Was die fossilen Brennstoffe betrifft, heizt Wien vorwiegend mit Gas, am Land wird zu einem großen Teil noch mit Öl geheizt. Das und die ­unterschiedlichen Bauweisen und Baudichten in der Stadt und am Land bedingen auch unterschiedliche Umstiegsszenarien.

Treberspurg Im ländlichen Raum sind Pellets eine gute Alternative, in der Großstadt jedoch kommen Pellets aufgrund der Lager- und Logistikmöglichkeiten, aber auch der Abgase und Feinstoffemissionen eher nicht infrage. Am Land wiederum ist Fernwärme eher schwierig – es sei denn, man hat eine ausreichend hohe Wohn- und Bebauungsdichte und eine entsprechende lokale Infrastruktur für Biomasse-Nahwärmenetze.

Bauernfeind Wir haben kürzlich eine bestehende Wohnhausanlage in Salzburg saniert und thermisch umstrukturiert. Da haben wir etwas sehr Spannendes gemacht: Wir haben fossile Energieträger komplett ausgespart und heizen stattdessen mit der Restwärme aus den Abwässern – ob das nun Waschbecken, Badewanne, Dusche, Wasch­maschine oder Geschirrspüler ist. Funktioniert wunderbar!

Und im Altbau?

Treberspurg Ähnlich wie im Neubau kann man auch im Altbau mit Bauteilaktivierung arbeiten. Statt in die Böden oder Decken fräst man die wasserführenden Schläuche in diesem Fall jedoch in die Außenwand ein und heizt und kühlt die Bauteile auf diese Weise. Je nach Baustoff und Dicke der Außenwand ist das eine sehr schöne, sinnvolle Alternative.

Weinberger Das prinzipielle Problem bei Bauteilaktivierung ist die Trägheit des Systems. Man braucht lange, bis sich ein Gebäude ­aufheizt und auch wieder abkühlt.

Treberspurg Ja, aber da gibt es schon spannende Ansätze, um die Trägheit ­auszutricksen.

Und zwar?

Treberspurg Wir arbeiten an einem Forschungsprojekt für prädiktive Steuerung, und zwar in Kooperation mit der Universität für Bodenkultur (IVET) in Wien. Wir erstellen einen digitalen Zwilling mit den grundlegenden Parametern des Gebäudes und füttern dieses digitale Modell mit aktuellen Wetterdaten diverser meteorologischer Stationen. Wir schauen damit bis zu zwei Tage in die Zukunft, und so wissen wir schon Stunden vor einem Wetterwechsel, wann das System die Temperatur anheben oder senken soll.

Weinberger Klingt sensationell. Wie gut funktioniert das in der Praxis?

Treberspurg Sehr gut! Alles, was man braucht, sind gute, zuverlässige Daten und ein kleiner »Raspberry Pi«, den man im Handel für rund 40 Euro bekommt.

Das heißt also, dass sich die Heizung ausschaltet, wenn es noch kalt ist, oder sich einschaltet, wenn die Sonne grad ins Zimmer scheint?

Treberspurg Das kann passieren. Denn das System antizipiert bereits den Wetterwechsel, der erst Stunden später eintreten wird.

Frau Bauernfeind, wären Ihre Mieter:innen für so eine Technologie empfänglich?

Bauernfeind Ich bezweifle, dass das im Wohnbau heutzutage funktionieren würde. Schon ein Passivhaus scheitert oft daran, dass sich ein:e Mieter:in nicht vorschreiben lassen will, wie er oder sie sich verhalten soll – geschweige denn, dass er oder sie von einem digitalen System übersteuert wird.

Was bräuchte es, damit die Heimat Österreich so eine Technologie einbaut?

Bauernfeind Viel Information und Sensibilisierung. Wenn das gut gemacht wird, kann ich mir vorstellen, dass es bei den Bewohner:innen eine Bereitschaft dafür gibt.

Weinberger Allein schon, wenn ich mir überlege, wie viel Zeit, Energie und Ressourcen in die Heizkostenabrechnung fließen, kann ich mir eine prädiktive Steuerung im Dialog mit  meteorologischen Daten in der Praxisanwendung wirklich gut vorstellen. Im Mietwohnbau, aber auch im Eigentumsbereich wäre das durchaus eine attraktive Alternative.

Treberspurg Insgesamt wird es wichtig sein, dass wir unsere Häuser in Zukunft nicht mehr als Einzelobjekte betrachten, sondern als konsumierende und produzierende Bausteine innerhalb einer zusammenhängenden Energielandschaft – ob das nun Geothermie, Wärmepumpe, Photovoltaik oder Solarthermie ist. Wichtig ist hier, auch die dazugehörigen Speicher mitzudenken.

Der Branchenkenner Udo Weinberger hat mit dem ÖVI und dem österreichischen Klimaschutzministerium die Grundlagen für das Erneuerbare-Wärme-Gesetz erarbeitet, das demnächst in Kraft treten soll

»Aufgrund von Förderungen, falschen Besteuerungen und fehlender Transparenz wird Gas oft als günstiger Rohstoff dargestellt. Durch den Ukraine-Krieg ist es zu einer Preiskorrektur gekommen.« – Christoph Treberspurg, Partner bei Treberspurg & Partner Architekten ZT GmbH

Welche Konzepte gibt es, um grundstücks­übergreifend im Netzwerk zu agieren?

Treberspurg Ein wichtiges Stichwort für die Zukunft werden sicher die Second-Life-Speicher sein, denn in einigen Jahren werden die Elektroautobatterien der ersten Generation nicht mehr die gewünschte Ladekapazität und Reichweite aufbringen, und dann wird man sie austauschen und aus dem Automobilkreislauf ziehen. Im Haus braucht man weder eine hohe Reichweite noch eine schnelle ­Ladegeschwindigkeit. Alte Batterien können hier wertvolle Dienste leisten.

Bauernfeind Gute Konzepte gibt es viele. Aber solange wir die Art und Weise der Investition, Abrechnung und Kostenabwälzung nicht überdenken, kommen wir hier nicht weiter! Denn Fakt ist: Wenn ich als Grundstückseigentümer:in eine Investition tätige, die Immobilie damit weniger Energie verbraucht und die Mieter:innen eine entsprechend geringere finanzielle Belastung bei den Heiz- und Energiekosten haben, kann ich das in die Miete nicht einkalkulieren. Der Anreiz ist enden wollend.

Weinberger Wir müssten endlich das MRG überdenken und ein Modell schaffen, das genau solche Investitionen, die dem ­Klima guttun und das Portemonnaie der Mieter:innen entlasten, in der Miete ­entsprechend berücksichtigt.

So wie etwa in Deutschland, wo es bereits die Unterscheidung in Kalt- und Warmmiete gibt?

Weinberger Zum Beispiel! Das wäre schon mal ein wichtiger Schritt, um die Energiekosten einer Immobilie transparent zu machen.

Bauernfeind Für uns als gemeinnütziger Bauträger spielt das keine große Rolle, denn wir sind erstens nicht gewinnorientiert und zweitens der Gemeinnützigkeit und Leistbarkeit verpflichtet. Daher ist der Einbau von nachhaltigen Energiesystemen bei uns mittlerweile Standard. Aber ich denke auch, dass gerade für den gewerblichen Wohnbau eine solche Transparenz und Berücksichtigung sehr, sehr wichtig wäre.

Kann man mit Förderungen nachhelfen?

Weinberger Ja, und das halte ich prinzi­piell für einen guten Weg. Das Problem in Österreich ist jedoch, dass die Förderricht­linien in allen neun Bundesländern allzu oft verändert und mit neuen Zuckerln schmackhaft gemacht werden. Als Bauträ­ger:in, Investor:in, Wohnungseigentümer:in hat man keine Investitionssicherheit und kann überhaupt nicht mehr langfristig planen. Ständige Ankündigungen neuer Förderungen bremsen die Investitionsbereitschaft!

Aktuell arbeitet das Klimaschutzministerium am Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das demnächst in Kraft treten soll. Der Österreichische Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI)
war in den Prozess maßgeblich involviert. Happy mit dem Paket?

Weinberger Ja, wir sind im Großen und Ganzen recht zufrieden. Im Detail geht uns das Gebot zu zentralen Heizanlagen zu weit, Eigentümer:innen sollten dies selbst entscheiden können. Jetzt ist nur wichtig, dass das Gesetz verabschiedet wird und in Kraft tritt. Hätte schon am 1. Jänner 2022 der Fall sein sollen. Höchste Eisenbahn!

Wie lautet Ihre Prognose? Welche Entwicklungen sehen Sie für die Zukunft?

Treberspurg Die Gefahr, was Klima, Energie und Ressourcen betrifft, ist greifbar geworden. Ich denke, dass sich das Mindset in kürzester Zeit stark gewandelt hat. Jetzt gilt es, den Zeitpunkt zu nutzen. Das ist eine echt große Chance!

Bauernfeind Der Ausstieg aus Gas ist ein sehr komplexer Prozess. Es sind viele kleine Zahnrädchen, die hier ineinandergreifen. Wir sind am richtigen Weg, aber ohne Gesetzesänderungen wird es nicht gehen.

Weinberger Es braucht gute Vorbilder und gute Botschaften.

Bleiben wir bei den Botschaften: Welches Gesetz wäre Ihnen am wichtigsten, wenn Sie morgen Klimakaiser:in von Österreich werden würden?

Bauernfeind Eine Änderung des MRG und des WEG.

Treberspurg Ich würde eine Plus­energieverordnung für Neubauten erlassen.

Weinberger Ich würde ein Gesetz erlassen, mit dem wir die Wärme- und Energieversorgung von Gebäuden kostenmäßig komplett neu regeln.

Der Planer Architekt Christoph Treberspurg arbeitet gerade mit dem Wetterfrosch zusammen und baut in seinen Häusern automatische Heizsysteme ein, die auf meteorologischen Daten basieren.

Sandra Bauernfeind

studierte Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien und arbeitete zunächst für Immofinanz, Constantia Privatbank und die Forschungs-gesellschaft für Wohnen, Bauen und Planen (FGW). Lange Jahre war sie Geschäfts-führerin der EHL Immobilien Management GmbH und EHL Wohnen GmbH. Seit 2021 ist sie Geschäftsführerin des gemeinnützigen Bauträgers Heimat Österreich.

Christoph Treberspurg

studierte Architektur an der Universität für angewandte Kunst in Wien und arbeitete zunächst in diversen Architekturbüros in Wien, Frankfurt und Los Angeles. Seit 2017 ist er Partner im Büro Treberspurg & Partner Architekten ZT GmbH, das auf energie- und ressourcenschonende Projekte im Bereich Wohnen, Arbeiten und Städtebau sowie im Denkmalschutz spezialisiert ist.

Udo Weinberger

studierte Rechtswissenschaften und Facility-Management und absolvierte eine Ausbildung zum Immo-bilientreuhänder. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Udo Weinberger Immobilien GmbH und seit 1999 Vorstandsmitglied im Österreichischen Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI), der Standesvertretung für Makler:innen, Verwalter:innen, Bau-träger:innen und Sachverständige.

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